Microids schickt euch mit dem Remake von Amerzone – The Explorer’s Legacy auf eine Reise in ein fantastisches Land, verborgen im Regenwald Südamerikas. Erfüllt den letzten Wunsch eines Forschers und besucht eine von der westlichen Zivilisation vollkommen unerforschte Gegend.
Amerzone (Amerzone: The Explorer’s Legacy, Amerzone: Das dunkle Vermächtnis oder auch Amerzone: Das Testament des Forschungsreisenden, wie meine alte DVD-Fassung beschriftet ist) aus dem Jahr 1999 war das erste Computerspiel des leider inzwischen verstorbenen französischen Künstlers Benoit Sokal, der danach mit Syberia (2002) seinen größten Erfolg feierte. Bereits Amerzone hat sich jedoch gut eine Million mal verkauft. Die Grafik ist inzwischen ein wenig in die Jahre gekommen, daher hat Microids eine Neuauflage herausgebracht, die sich grafisch nicht vor aktuellen Spielen verstecken muss. Grundsätzlich orientiert sich das Remaster am originalen Spiel – allerdings wurden einige zusätzliche Rätsel eingebaut beziehungsweise sind die Rätsel nun komplexer als noch im Original.
Die Idee zu Amerzone hatte Benoit Sokal bereits in einem seiner Comics aus dem Jahr 1986. Das Spiel ist grundsätzlich ein typischer Vertreter seiner Zeit (1999), ein Fantasy-Adventure aus der Egoperspektive mit einer Steuerung wie beim Erfinder des Genres, Myst. Ihr bewegt euch von Punkt zu Punkt, und könnt an jedem Ort in alle Richtungen schauen und manchmal mit Objekten interagieren. Benoit Sokal hatte eine besondere Liebe für mechanische Konstruktionen – wie später in Syberia werdet ihr also einigen fantastischen Geräten begegnen. Die meisten der Geräte, die ihr finden werdet, sind verrostet und schauen wie aus einem Steampunk-Szenario aus – funktionieren aber immer (mehr oder weniger) einwandfrei. Darunter beispielsweise das Fluggefährt, mit dem ihr euch von Frankreich aus auf den Weg nach Südamerika macht – ein kleines Flugboot mit einem Computer, der noch mit 3 1/2 Zoll Disketten gefüttert werden muss…
White Birds
Als Journalist hat man es nicht einfach. Eigentlich sind wir ja noch nicht einmal ein akkreditier Journalist, aber vielleicht ist das ja unsere Chance. Besser als der letzte Artikel über den Jahrmarkt ist es allemal. Unsere Chefin hat uns gerade einmal ein Bahnticket von Paris an die Atlantikküste (und zurück, ohne Übernachtung vor Ort, das wäre zu teuer) spendiert, um ein Interview mit einem alten Forscher zu führen. Der gute Mann mit dem Namen Professor Alexandre Valembois war im Jahr 1932 auf einer Expedition in einem südamerikanischen (Fantasy-)Land mit dem Namen Amerzone, und hat von dort das Ei der sagenumwobenen Weißen Vögel (es gibt pro Generation immer nur eines…) mitgebracht. Oder besser: gestohlen. Und seine große Liebe hat er auch im Land zurückgelassen. Es handelt sich bei den Weißen Vögeln um eine ganz spezielle Vogelart, die vom Aussterben bedroht ist. Die Tiere haben keine Füße, weil sie niemals irgendwo landen. Sie leben nur in der Luft, angetrieben von den Aufwinden eines Vulkans… keine Ahnung, wie sie das Ei legen. Aber irgendwie logisch, dass sie vom Aussterben bedroht sind.
Das Land Amerzone wird inzwischen von einem brutalen Diktator beherrscht, der es vollkommen abgeriegelt hat. Es gibt daher kaum irgendwelchen Informationen über das Land – und Alexandre Valembois gilt als einer der wenigen Experten auf dem Gebiet. Wir sollen ihn also interviewen, da in unserer Zeitung in ein paar Tagen ein Artikel über Amerzone erscheint (und unsere Kollegin, die über die Tierwelt schreiben wollte, im Zoo von einer giftigen Schlange gebissen wurde). Unsere Chance!
Wir treffen Professor Alexandre Valembois, der zurückgezogen in einem Leuchtturm lebt, reden kurz mit ihm, und er stirbt vor unseren Augen. Zuvor hat er uns noch angefleht, das Ei zurückzubringen… um damit den Schaden wieder gut zu machen, den er vor Jahren (das Spiel handelt im Jahr 1998) mit seiner Expedition angerichtet hat. Also werfen wir eine herumliegende Decke über den eben verstorbenen Mann und durchsuchen seinen Wohnsitz. Der kleine Leuchtturm entpuppt sich rasch als recht weitläufig, fast wie ein U-Bootbunker der Nazis… Wir finden aber kein U-Boot, sondern nur einige Hinweise über das Leben von Professor Alexandre Valembois und über seine damalige Expedition nach Amerzone.
Hydroflot Mk II
Schon bald finden wir auch den heimlichen Star des Spieles – ein vom Professor konstruiertes Gefährt, das er Hydroflot Mk II genannt hat. Mk I hat die erste Expedition im Jahr 1932 nicht überlebt. Mk II ist nun angeblich eine verbesserte Version… schaut aber fast genauso aus. Das Ding ist recht flexibel. Ein paar Handgriffe, und es wechselt zwischen Flugzeug, U-Boot, Hubschrauber, Segelschiff und weiteren Gefährten. Also füllen wir den 20 Liter Tank, setzen uns hinein, werden mit einer Rakete in die Luft geschossen und fliegen (zusammen mit einer uns von nun an begleitenden Gruppe von Amerzone-Gänsen) in nur 9 Stunden vollständig mit Autopilot (die Route war auf einer Floppydisk gespeichert) von der Bretagne an die Küste von Amerzone (in der Nähe von Brasilien). Nicht schlecht, vor allem mit dem uralten Boxermotor und den winzigen Flügeln. Wir landen im Meer vor einer kleinen Insel, auf der nur ein mürrischer Fischer lebt. Hier müssen wir ein paar Rätsel lösen, um schließlich eine weitere Diskette zu finden, die uns zum nächsten Reiseziel, einem Dorf im Flußdelta, führt. Nebenbei aktualisiert die Disk auch das Betriebssystem des Hydroflot, und gibt ihm ein paar neue Funktionen. Und damit meine ich nicht die Hupe, den Scheibenwischer und die Scheinwerfer, die waren schon bei der Abreise freigeschalten. Nach einem Flug mit dem Hubschrauber und einer Segelfahrt entlang des Flusses erreichen wir unser nächstes Reiseziel etwas tiefer im Land – und brauchen wieder eine (weggesperrte) Diskette, um weiterzukommen… diese notwendigen Disketten hat der Professor zuvor an mehrere Vertraute in Amerzone versandt. Und so geht es dahin, bis wir unser endgültiges Reiseziel erreichen. Wir fahren (teilweise ohne Treibstoff und nur mit Windkraft) mit Auto-Piloten entlang des Kaiman-verseuchten Flusses durch den Regenwald, stürzen Wasserfälle (flußaufwärts) hinab, begegnen Nilpferden, Nashörnern und Wasserbüffeln, spielen mit unbekannten Tierarten, reisen (wenn ich so auf die Landkarte schaue) in wenigen Stunden von der Atlantikküste bis irgendwo an die südliche Grenze von Venezuela – realistisch ist das alles nicht, aber Spaß macht es trotzdem.
360 Grad Panorama
Die Steuerung funktioniert denkbar einfach. Drückt den Mausknopf und zieht an einer Tür, um sie zu öffnen. Genau so öffnet ihr Schubladen oder zieht an Hebeln. Ihr könnt an den Hotspots auch mit Gegenständen aus eurem Inventar interagieren. Die meiste Zeit werdet ihr das 360 Grad Panorama genießen und nach Hotspots suchen. Wenn ihr die Hotspots findet, sind die Rätsel eher einfach gehalten. Ihr findet eine Schaufel, und da ist eine vergrabene Truhe. Ihr findet ein Messer, und da ist ein störendes Seil… die Schwierigkeit liegt vor allem darin, alle notwendigen Objekte/Hotspots auch zu entdecken. Die einzelnen Lokationen sind relativ weitläufig. Die Manipulation von verschiedenen Maschinen ist auch immer wieder von Nöten – einen defekten Teil austauschen, an den richtigen Knöpfen drehen und Hebeln ziehen… bis das Ding funktioniert.
Amerzone spielt aus der Egoperspektive. Wenn ihr euch bewegt, seht ihr die Umgebung in Bewegung – was bei anfälligen Spielern durchaus zu Übelkeit führen kann. Es ist natürlich nicht so schlimm, wie bei einem reinen 3D Spiel mit extremen Head-Bobbing, aber nach ein paar Stunden Spielzeit hatte ich doch immer ein flaues Gefühl im Magen. Ich bin allerdings auch relativ anfällig für Motion-Sickness. Für mich war das Spiel immer noch gut spielbar, wenn ihr jedoch sehr sensibel seid, ist es möglicherweise nicht für euch geeignet.
Die Gespräche in Amerzone sind vollkommen vertont, aber nur auf englisch. Die Texte und Untertitel sind auf deutsch. Cloud-Speicherstände werden unterstützt, ebenso Gamepads. Wer nicht weiterkommt, kann sich Hinweise anzeigen lassen – von recht allgemeinen Tipps bis hin zur detaillierten Lösung jedes Problems. Nachdem ihr das Spiel gelöst habt, könnt ihr jedes Kapitel direkt anwählen, um nach Details zu suchen, die ihr beim ersten Durchspielen nicht entdeckt habt.
Das Remake von Amerzone erscheint für den PC auf GOG, Steam und im Epic Store, dazu gibt es Fassungen für die Xbox und die PlayStation. Die gute Grafik am PC stellt Anforderungen an eure Hardware – eine NVIDIA GeForce GTX 1080 Ti oder AMD Radeon RX580 sollte laut Microids mindestens in eurem Rechner schlummern – auf meiner GeForce 1070 ist es allerdings auch ohne Probleme gelaufen.
Zusammenfassung
FAZIT
Amerzone ist ein Spiel aus dem Jahr 1999, das für aktuelle Rechner modernisiert wurde. Die (bereits im Original durchaus hübsche) Grafik schaut nun wirklich toll aus, ich habe regelmäßig in aller Ruhe die Szenerie betrachtet, bevor ich nach Hotspots gesucht habe. Hektisch ist das Spiel ja ohnehin nicht, es ist ein gemächliches Point and Click Adventure aus der Egoperspektive. Die Story ist frei erfunden und erzählt von einem unerforschten Land außerhalb unserer Zivilisation, bewohnt von unbekannten Tieren und Pflanzen. Neben den zum Fortkommen notwendigen Rätseln gibt es auch eine Menge an zusätzlichen Informationen/Gegenständen zu finden, die ihr automatisch in eurem Tagebuch aufzeichnet, um damit einen tollen Artikel über den Professor und Amerzone mit seinen geheimnisvollen Weißen Vögeln zu schreiben… und am Ende vielleicht ein richtiger Journalist zu werden. Amerzone ist jedenfalls ein gut aussehendes, kurzweiliges Adventure – nicht zu lang, nicht zu kompliziert, und mit einer ungewöhnlichen Geschichte, wie sie nur einem kreativen Genie wie Benoit Sokal einfallen konnte.