Das Aufbaustrategiespiel Anno 117: Pax Romana erscheint am 13. November im Handel. Mittlerweile konnten wir bereits etliche Stunden mit der Review-Version verbringen und sagen euch ob dieser Teil das beste „Anno“ aller Zeiten sein könnte.
Mit Anno 117: Pax Romana wagt Ubisoft einen erfrischenden Richtungswechsel für das traditionsreiche Aufbaustrategie-Franchise. Nach mehreren Seefahrts-Epochen ist nun das Römische Reich an der Reihe – eine Epoche, die aus Sicht von Handel, Verwaltung, Infrastruktur und gesellschaftlichen Spannungen wie gemacht scheint für Anno. Der Titel verbindet bekannte Serien-Stärken mit neuen Ideen, allen voran dem faszinierenden Kontrast zweier Kernregionen: Latium und Albion.
Marcus oder Marcia
Der Schauplatz ist nicht nur optisch attraktiv, sondern auch thematisch klug gewählt. Zwischen römischer Ordnung und barbarischer Wildnis entfaltet sich ein Spiel, das seine Welt glaubwürdig präsentiert: In Latium bestimmen prachtvolle Villen, Aquädukte und wohlgeordnete Landstriche das Bild. Albion dagegen ist rau, regengetränkt, archaisch – das Land, das Rom zu zähmen versucht.
Die Kampagne dient als sanfter Einstieg in das Spiel, zahlreiche Tutorials unterstützen dabei die Spielenden bei den ersten Schritten. Sie vermittelt auf angenehme Weise Geschichtsflair, ohne den Spieler mit Fakten zu erschlagen. Politische Spannungen, lokale Traditionen und Machtdynamiken sind allgegenwärtig. Dabei wirkt die Erzählung zuweilen formelhaft, doch ihre inszenatorische Qualität ist überzeugend genug, um Akzente zu setzen. Besonders gut gelingt der atmosphärische Kontrast beider Regionen – er sorgt nicht nur für optische Vielfalt, sondern beeinflusst die Spielmechanik direkt.
Zum Start kann man zwischen den Charakteren Marcus und Marcia wählen, zwei Statthaltern mit eigener Hintergrundgeschichte und leicht unterschiedlicher Herangehensweise an Politik, Diplomatie und Stadtplanung. Ich starte mit Marcia und werde von Kaiser Lucius nach Latium geschickt um die Verwaltung der Provinz zu übernehmen.
Alle Wege führen nach Rom
Die Grundlage bleibt natürlich klassisches Anno: Sedimentartiger Zivilisationsaufbau mit Produktionsketten, Bevölkerungsstufen, Handel und Erkundung. Wer die Serie kennt, findet sich schnell zurecht. Der große erzählerische und spielmechanische Hebel ist der Dualismus aus Latium und Albion.
Was in Latium funktioniert, klappt in Albion nicht unbedingt – und umgekehrt. Rohstoffe, Bauregeln, Bevölkerungsansprüche, Infrastruktur und Gefahren unterscheiden sich deutlich. Das zwingt zu situativem Handeln und verhindert den bequemen Bau-Baukasten, den manche Spieler aus früheren Teilen gewohnt sind. Diese Varianz ist eine der größten Stärken des Titels.
Das Bausystem hat einen kräftigen Evolutionssprung hingelegt. Jedes errichtete Gebäude beeinflusst nun seine Nachbarschaft – positiv wie negativ. Lärm, Abgase oder ein eher fragwürdiger Geruch können das Umfeld belasten, während prestigeträchtige Einrichtungen das Gegenteil bewirken. So sorgt ein Forum für bessere Laune, während ein Schlachthaus den Leuten eher die Stimmung verdirbt. Dadurch entsteht ein städtisches Gefüge, das wesentlich stärker auf die richtige Platzierung angewiesen ist. Die neue Technologie hinter dem Städtebau erlaubt zudem geschwungene Straßenverläufe und flexible Bauformen. Der früher so typische, streng rechteckige Raster-Look verliert sich zugunsten eines natürlicheren Stadtbilds – auch wenn man diese Freiheit in der Praxis gar nicht so exzessiv nutzt.
Neue Produktionskreisläufe sind abwechslungsreich und logisch eingebettet. Wasserinfrastruktur – in Form von Aquädukten – spielt eine wichtige Rolle in Latium. In Albion wirken dagegen rauere Umweltbedingungen und kulturelle Besonderheiten auf die Produktivität.
Ich starte meine Besiedlung mit der Errichtung der ersten Holzfällerhütten, Sägewerke und Wohnhäuser für die „Liberti“, meine erste Einwohner und Arbeiter. Wenn ich ihre Bedürfnisse erfüllen und genügend Arbeiter ansiedeln kann, ist eine Beförderung zur nächsten Gesellschaftsschicht den „Plebejern“ möglich. Sie benötigen wieder andere Waren um „glücklich“ zu sein, also erweitere ich meine Produktionskreisläufe, und so weiter und so fort. Dazwischen erfülle ich Quests um Belohnungen zu bekommen um im Spielablauf fortzuschreiten. Es wird zeit die Insel zu verlassen, Segel zu setzen und die Welt rund um mich zu erkunden…
Politik, Handel & Fortschritt sind wichtig
Das Imperium lebt von Hierarchien; entsprechend spielt Verwaltung erstmals eine größere Rolle. Spieler verwalten ihre Provinzen, vergeben Ämter und beeinflussen lokale Bedürfnisse. Entscheidungen wirken sich auf Loyalität, Wirtschaft und soziale Stabilität aus. Chaos ist möglich, aber selten willkürlich: Misswirtschaft, Ressourcenmangel oder schlechte Infrastruktur führen zu Protesten, Aufständen und wirtschaftlichem Kollaps. Diese Mechaniken erweitern das klassische Anno-Grundgerüst sinnvoll, ohne es zu überfrachten. Sie verlangen mehr Weitblick, belohnen aber Planung mit hoher spielerischer Tiefe.
Der Handel – traditionell ein Herzstück von Anno – wirkt nun deutlich vielschichtiger. Schiffe lassen sich individuell aufrüsten, etwa mit größeren Laderäumen, schnelleren Segeln oder zusätzlicher Bewaffnung. Handelsrouten reagieren spürbar auf äußere Einflüsse: Piraten, politische Unruhen oder Anweisungen aus Rom können sie gefährden oder sogar komplett lahmlegen. Damit gewinnt die Seefahrt an Gewicht und taktischem Anspruch und ist einer der wichtigsten Faktoren im Spiel.
Auch geistiger Fortschritt ist ein wichtiges Spielfeld. Wie in Anno 1800 spielt Forschung eine Rolle, orientiert sich diesmal jedoch stärker an römischer Technik und Gelehrsamkeit. Tempel, Bibliotheken und Werkstätten dienen als Zentren des Wissens, die Wissenschaft, Ideen und Kultur voranbringen. Religion ist nicht dogmatisch verankert, sondern eher ein sanfter Einflussfaktor: Man kann göttlichen Beistand suchen oder auf nüchterne Vernunft setzen – und beides verändert die Entwicklung des eigenen Reiches.
Ein Weltreich regieren
Militär ist kein Selbstzweck im Spiel, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Die Schlachten sind allerdings weniger komplex als in reinen Strategiespielen, jedoch funktional und stärker integriert als in früheren Anno-Teilen. Strategen dürfen aber keine Wunder erwarten; Kämpfe dienen primär der Kontrolle, nicht der Spektakelinszenierung. Dennoch fühlt sich Expansion glaubwürdiger an, da militärische Präsenz und Bündnisse Einfluss auf Stabilität und Handel haben.
Optische Opulenz
Optisch gehört Anno 117 sicher zu den schönsten Aufbauspielen überhaupt. Die Städte wirken lebendig und organisch; Tiere, Menschen, Infrastruktur und Vegetation interagieren sichtbar. Römische Architektur glänzt durch Detailfülle, während Albion mit mystischem Nebel, rauer Geometrie und dichter Vegetation punktet.
Soundeffekte, Musik und Sprachausgabe tragen sehr viel zum historischen Flair bei. Das leise Rauschen der Aquädukte, Marktplatz-Getümmel und verstreute musikalische Akzente erzeugen ein dichtes Klangbild.
Auf moderner Hardware läuft das Spiel mit der uns aktuell zur Verfügung stehenden Version sehr rund, es gab keinerlei Abstürze oder gröbere Bugs zu verzeichnen. In sehr späten Stadtausbaustufen kann es leichte Einbrüche geben, die jedoch nicht spielentscheidend sind. Das Interface ist gewohnt übersichtlich und klar, aber angesichts neuer Verwaltungsmechaniken stellenweise etwas verschachtelt und zu Beginn sucht man das eine oder andere verzweifelt. Nach kurzer Eingewöhnung geht aber alles gut von der Hand.
Langzeitmotivation
Anno lebte schon immer vom „Nur noch eine Stunde…“-Effekt – und Anno 117 liefert ihn auch zuverlässig wieder. Der Gegensatz der beiden Regionen sorgt für Abwechslung, die Entwicklung eigener Verwaltungs- und Handelsstrategien hält langfristig bei Laune. Die Kampagne ist solide, doch vor allem der Endlosmodus entfaltet dann sein volles Potenzial.
Es wird auch spannend sein, wie Ubisoft das Spiel weiter unterstützt – neue Regionen, Kulturen oder politische Mechaniken würden sich gut einfügen. Zudem gibt es die offizielle Unterstützung für Modding: Zum ersten Mal können Spieler eigene Szenarien, Gebäude und Mechaniken erstellen und mit der Community teilen – ein Schritt, der das kreative Potenzial der Anno-Reihe langfristig sicher sinnvoll erweitert.
Zusammenfassung
FAZIT
Anno 117: Pax Romana konnte schon in unserer Vorschau überzeugen und das ändert sich auch mit der Review-Version nicht. Der Ausflug ins alte Rom ist ein würdiger Eintrag in die Serie und gleichzeitig ein mutiger Schritt. Der Fokus auf zwei unterschiedliche Kernregionen, Verwaltung und gesellschaftliche Dynamiken verleiht dem bekannten Aufbausystem spürbare Frische. Die Grafik, Atmosphäre und Produktionsketten überzeugen jedenfalls – und sorgen für die typische Anno-Sogwirkung.
Manche Aspekte hätten vielleicht etwas mehr Tiefe vertragen, doch unter dem Strich steht ein starkes, modernes Anno, das seine historische Epoche elegant übersetzt und langanhaltenden Spielspaß bietet. Fans des Vorgängers werden keinesfalls enttäuscht sein und dürfen sich wieder auf viele Stunden Aufbaustrategie freuen. Ist Anno 117 also das beste Anno aller Zeiten? Vielleicht nicht in letzter Konsequenz, aber es ist ein „verdammt gutes“ Anno geworden.