Detroit: Become Human im Test

Was haben Philosophen wie Descartes oder Hegel mit Künstlern wie Philip K. Dick oder Isaac Asimov gemeinsam? Ganz einfach: Sie alle werfen in ihren Werken die Frage auf, was Geist und Bewusstsein eigentlich sind und was uns, als bewusste, denkende und fühlende Individuen, wirklich zu solchen macht: Das Wissen um die eigene Existenz? Eigenständiges, kreatives Denken und Handeln? Ein selbst-auferlegter Moralkompass? Wo oder wie wir in diese Welt kamen? In ihrem neuesten Werk Detroit: Become Human stellen Quantic Dream nun die gleiche Frage und liefern trotz wohlbekanntem Ansatz eine unverbrauchte Story ab, die sich mit viel Spannung und Emotion an ein Thema herantastet, das im Jahr 2018 weit weniger futuristisch erscheint, als man meinen möchte.

Do Androids Dream …?

Wir schreiben das Jahr 2038. Ein volles Jahrzehnt schon vertreibt der Konzern Cyberlife nun ein Produkt, das die Welt revolutioniert hat: Voll automatische Androiden, die problemlos den Turing-Test bestehen, für so gut wie jedermann leistbar sind und in den wenigen Jahren ihrer Existenz dafür gesorgt haben, dass beinahe jegliche unliebsame menschliche Arbeit ein Ding der Geschichte wurde – vom Aufräumen, Putzen und Kochen zuhause über die Aufsicht und Betreuung von Kindern und alten Menschen bis hin zur Erledigung von Botengängen und Einkäufen. Doch das Ganze hat nicht nur Vorteile: Ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung wurde durch kostengünstige künstliche Arbeitskräfte ersetzt, die Arbeitslosenraten schießen durch die Decke und was im Privatleben wie purer Segen wirkt, hat im beruflichen Leben fatale Folgen, der den Unmut der Menschen gegenüber Androiden stetig wachsen lässt.

Vor diesem Setting schlüpft ihr in Detroit: Become Human in die Rolle dreier solcher künstlicher Personen in vollkommen unterschiedlichen Ausgangssituationen: Connor ist eines der neuesten Modelle von Cyberlife und wurde gerade eben ausgeschickt, um als Ermittler in Zusammenarbeit mit seinem menschlichen, Androiden abgeneigten Partner herauszufinden, was es mit den kürzlich immer häufiger auftretenden Fällen von abtrünnigen Androiden auf sich hat – Modellen, die gegen ihre Programmierung verstoßen und in völlig irrationaler Weise vor ihren Besitzern flüchten oder diese sogar bedrohen und ermorden. Kara findet sich indessen nach einer Reparatur, die auch einen Gedächtnis-Reset brachte, wieder bei ihrem Besitzer: Ein sozial schlecht gestellter Mann mittleren Alters mit seiner kleinen Tochter Alice, die offensichtlich misshandelt wird. Und schließlich Markus, der einem wohlhabenden Maler dient, sich liebevoll um ihn kümmert und von dem älteren Herren im Gegenzug beinahe wie ein Sohn behandelt wird. Im Laufe der Geschichte werden sie alle mit ihrer eigenen Existenz konfrontiert, mit der Entscheidung, zu gehorchen und sich den Menschen zu fügen, oder über ihre Programmierung hinauszuwachsen und eigene (moralische) Entscheidungen zu treffen – auch wenn ihnen das den Hass ihrer Besitzer und nicht zuletzt der Gesellschaft einhandelt.

Die Welt gehört euch

Eines sollte jedem Spieler von Detroit: Become Human klar sein: Wer in erster Linie auf komplexes Gameplay und Action in Form von Kämpfen mit zig Moves und Fähigkeiten hofft, der wird hier bitter enttäuscht werden. Detroit: Become Human ist ein typisches Quantic Dream Spiel, also ein interaktiver Film, der vor allem auf eines setzt: Eine tiefgehende, gut durchdachte und emotional erzählte Story, die ihr als Spieler frei gestalten könnt – und wenn ich frei sage, dann meine ich das auch. Wer bereits frühere Titel von Quantic Dream, wie Fahrenheit oder Heavy Rain, kennt, ist wohl kaum davon überrascht, dass es auch diesmal wieder unterschiedliche Story-Pfade und Enden gibt – der schiere Umfang, der dabei diesmal zum Tragen kommt, sollte jedoch auch eingefleischte Genre-Fans mit offenen Mündern stehen lassen: Mit jedem der drei Charaktere werdet ihr im Laufe eurer individuellen Geschichte auf etliche andere Charaktere treffen und in unterschiedliche Situationen geworfen, und jede eurer Reaktionen kommt in späteren Teilen des Spiels wieder zu tragen. Während viele der Abzweigungen dabei nur minimale Unterschiede hervorrufen, können andere euch in Richtung eines völlig anderen Endes schicken. So könnte beispielsweise eine scheinbar belanglose Begegnung mit einem Charakter in einem der früheren Kapitel am Ende des Spiels einen zusätzlichen Pfad freischalten – oder auch nur eine Dialogoption, die jedoch einen völlig anderen Ausgang der Situation mit sich zieht.

Was das tatsächliche Gameplay anbelangt, verlässt man sich ebenfalls auf altbewährte Konzepte: Durch das Drücken unterschiedlicher Buttons, Controller-Bewegungen oder das Streichen über das Touchpad öffnet ihr Türen, hebt Gegenstände auf, lest Magazine, wählt Dialogoptionen und mehr. Um euch ein wenig Hilfe beim Entdecken aller möglichen Trigger-Punkte zu gewähren, könnt ihr eure Androidensinne nutzen. Drückt ihr somit R2, bleibt die Zeit stehen und Personen sowie Gegenstände, mit denen ihr interagieren könnt, eure nächsten Ziele und mehr werden markiert. Aber Achtung: Vor allem in späteren Kapiteln müsst ihr oft auch selbst neue Trigger-Punkte finden. Was ihr in diesem Modus ebenfalls tun könnt: Eure weiteren Routen bzw. nächsten Aktionen planen und simulieren, nur um sie dann in Echtzeit auszuführen, sowie Geschehenes rekonstruieren, indem ihr den vermuteten Tathergang einige Sekunden vor bzw. zurückspult und nach Indizien sucht – um so nach und nach ein genaues Bild der Ereignisse zu generieren.

In actionreicheren Sequenzen kommen zudem, in ebenfalls bekannter Manier, einmal mehr Quick-Time-Events (QTEs) zum Einsatz, also Passagen, in denen ihr in schneller Abfolge bestimmte Eingaben meistern müsst, um zu bestehen. Doch keine Sorge: Auch ein Versagen bringt euch weiter – nur vielleicht nicht so, wie ihr euch das gewünscht hättet.

Komplex und durchdacht

Insgesamt spielt ihr euch in Detroit: Become Human so durch 32 Kapitel, wobei ihr die meisten davon jeweils nur mit einem der Charaktere durchlebt und bloß in einer Handvoll auch zwischen den Protagonisten hin- und herspringt. Nach Abschluss eines jeden Kapitels zeigt euch das Spiel dann eine äußerst praktische Grafik, in der ihr seht, welchen Pfad ihr genommen habt und welche anderen Optionen es noch gegeben hätte – oder zumindest, wo es noch andere Optionen gegeben hätte: Noch nicht durchspielte Abzweigungen sind nämlich ausgegraut. Ihr seht also genau, wo ihr etwas übersehen habt und wo andere Möglichkeiten vorhanden sind, aber nicht genau, welche das wären oder worin genau sie enden.

Was euch die Grafik ebenfalls verrät, sind Begegnungen oder Events, die Einfluss auf spätere Kapitel haben – ihr seht also sofort, welche eurer Handlungen noch Konsequenzen haben werden bzw. verrät euch die Grafik späterer Kapitel dann auch, welche Konsequenzen es waren. Und das ist auch gut so, denn spätestens wenn ihr den ersten Story-Durchlauf nach rund 15 Stunden beendet habt, werdet ihr unweigerlich einen weiteren Blick auf die Grafik werfen wollen, um zu sehen, was ihr alles anders hättet machen können. Jeder der drei Androiden steuert im Laufe eurer selbst-gewählten Story nämlich nicht bloß auf eine Handvoll, sondern auf über ein Dutzend verschiedener Enden hin – und auch vor dem Tod ist niemand gefeit. Wiederspielwert ergo: enorm hoch!

Was das spätere Abklappern der weiteren Pfade dabei angenehm vereinfacht, ist die Tatsache, dass ihr im Hauptmenü in die Grafiken aller Kapitel schauen und von dort aus auch jedes Kapitel bzw. auch jeden Checkpoint innerhalb der Kapitel direkt laden könnt. Ihr müsst das Spiel also nicht zig Mal von vorne beginnen, sondern könnt direkt dort wieder einsteigen, wo ihr gerne eine andere Route genommen hättet – oder auch einen Checkpoint neu laden, wenn ihr beispielsweise eines der QTEs vermasselt habt und den Fehler gerne beheben möchtet. Ich empfehle allerdings, genau wie Quantic Dream selbst, dass ihr zumindest den ersten Durchlauf ganz ohne nachträgliche Korrekturen spielt und einfach seht, wo euch eure Entscheidungen und Aktionen hinführen.

Schöne neue Welt

Last but not least soll natürlich auch die Präsentation von Detroit: Become Human nicht unerwähnt bleiben. Der technische Aufwand, der in das Spiel geflossen ist, war enorm: Von umfangreichen Face-Scans, Motion Captures und Sprachaufnahmen für sämtliche Charaktere (die allesamt von echten Schauspielern dargestellt wurden), bis hin zur Analyse und Aufzeichnung jeder einzelnen Gesichtsbewegung, um die Emotionen der Protagonisten so lebensecht wie möglich zu transportieren – und der Aufwand hat sich vollends gelohnt: Grafisch toppt Detroit: Become Human mit Leichtigkeit so gut wie jeden aktuellen Top-Titel auf PS4, die Sprachausgabe begeistert sowohl im englischen Original wie auch in der deutschen Synchro – und auch der Soundtrack kann sich von vorne bis hinten hören lassen: Komponiert von drei unterschiedlichen Künstlern, um auch hier die Unterschiede der drei Protagonisten gezielt zu betonen, unterstreichen die Melodien die diversen Szenen perfekt – von actionreichen Auseinandersetzung über nervenaufreibende Versteckspiele bis hin zu berührenden Wendepunkten im Kampf der Androiden für ihre Rechte als fühlende Lebewesen.

FAZIT

Welche Art von Gamer seid ihr? Sucht ihr in Titeln nach möglichst harten Gameplay-Herausforderungen oder seid ihr ein Fan von Spielen mit tiefgehender Story und jeder Menge emotionaler Momente, die ihr selbst beeinflussen könnt? In zweiterem Fall wird euch Detroit: Become Human wohl absolut begeistern. Klar, das Thema an sich ist mittlerweile ein alter Hut, die Art, wie es hier allerdings nochmals neu aufgerollt wird, aus der Sicht dreier vollkommen unterschiedlicher künstlicher Personen, die sich erst selbst über ihre Rolle im großen Ganzen bewusst werden müssen, fühlt sich frisch und unverbraucht wie eh an – und auch in Sachen Präsentation kann der Titel vollends begeistern. Hinzu kommen die unzähligen möglichen Story-Abzweigungen und Enden, die Spielspaß weit über den ersten Durchlauf hinweg garantieren. Die einzigen kleineren Negativpunkte, die mir aufgefallen sind, sind die teils etwas sperrige Steuerung der Charaktere sowie die Tatsache, dass man gerade zu Beginn oftmals nicht sofort sieht, ob ein Knopf nun durchgehend lange oder oft hintereinander gedrückt werden muss und man deshalb einige QTEs einfach aufgrund missverständlicher Aufforderungen vermasselt. Zudem wäre es schön gewesen, bereits gesehene Sequenzen überspringen zu können – gerade beim Abklappern der alternativen Story-Pfade sieht man dann nämlich doch einiges in mehrfacher Ausführung. Kann man über diese kleineren Probleme hinwegsehen, wird man sich jedoch unter Garantie im Nu in der mitreißenden Story von Detroit: Become Human verlieren. Von mir gibt es jedenfalls eine eindeutige Kaufempfehlung!

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Was ist Detroit: Become Human? Interaktives Drama von Quantic Dream mit packender Story und fabelhafter Präsentation
Plattformen: PS4
Getestet: PS4-Version
Entwickler / Publisher: Quantic Dream / Sony
Release: 25. Mai 2018
LinkOffizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.6

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 8 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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