Mittelerde: Schatten des Krieges im Test

2014 bescherte uns der amerikanische Entwickler Monolith Productions mit Mittelerde: Mordors Schatten ein Videospiel, welches sich, frei nach dem Motto „Besser gut geklaut als schlecht selbstgemacht!“, diverse Gameplay-Elemente von der Konkurrenz „borgte“ und zu einem wirklich gut spielbaren Ganzen, mit Herr der Ringe Lizenz zusammenfügte. Jetzt, drei Jahre später, ist Mittelerde: Schatten des Krieges immer noch ein bunter Mix aus bekannten Elementen, hat jedoch sein größtes Alleinstellungsmerkmal deutlich verbessert – das Nemesis System. Obwohl mich Mittelerde: Schatten des Krieges in allen Belangen mehr überzeugte als der Vorgänger, kommt auch die Fortsetzung nicht ohne finstere Wolken daher.

Fanfiction in Mittelerde

Mal Hand aufs Herz: Welcher treue Anhänger eines x-beliebigen Franchises hat noch nie versucht, sich eigene Geschichten in dem von ihm viel geliebten Universen auszudenken, dabei jedoch gelegentlich vor lauter Freude am Erzählen gewisse Gegebenheiten im Lore ignoriert. So fühlt sich auch die Geschichte von Tailion und Celebrimbor an. Die Abenteuer des Waldläufers, dessen Seele aufgrund der Ereignisse in Mordors Schatten untrennbar mit dem Geist des von Sauron betrogenen und hingerichteten Ringschmiedes verbunden ist, finden ca. 30 Jahre vor den Geschehnissen in Der Herr der Ringe statt. Monotlith erzählt eine spannende Geschichte, nimmt sich jedoch diverse Freiheiten, welche so manchen Herren der Ringe Fan sauer aufstoßen lassen könnten. Dies ist vor allem dem Prequel-Charakter der Geschichte geschuldet, denn es kommt zu Situationen, welche Figuren des Romans, wie zum Beispiel The Mouth of Sauron, überflüssig machen. Oder Riesenspinne Kankra, welche in Mittelerde: Schatten des Krieges ganz eigene Ziele verfolgt, wird mal eben vom widerlichen Spinnenvieh zum sexy Shape Shifter umgeschrieben. Wenn man sich an diesen Freiheiten aufhängt, oder der Tatsache, dass man schon weiß dass es dem ungleichen Duo nicht gelingen wird den Aufstieg Saurons zu verhindern, kann einem das leider die Freude an der Geschichte nehmen. Etwas das sehr schade wäre. Denn wenn man über diese Dinge hinwegsehen kann, dann bietet die Geschichte viele tolle Momente. Wir werden Zeuge wie der Hexenkönig Minas Ithil unterwirft und zu seinem Heimatsitz Minas Morgul macht. Wir legen uns mit den Ringgeistern an oder erleben wie sich ein Balrog aus seinem Schlaf erhebt und eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Momente wie diese sind das Salz in der Suppe und viele spannende Figuren das Lorbeerblatt. Auch wenn Talion als Held vielleicht etwas blass bleibt. Dieser Umstand wird jedoch durch Ringschmied Celebrimbor gut ausgeglichen und fällt, wie ich finde, nicht so schwer ins Gewicht.

Mittelerde: Assassins Asylum

Wie schon der Vorgänger macht Mittelerde: Schatten des Krieges keinen großen Hehl daraus, bei welchen Vorbildern man sich beim Gameplay bedient hat. Wie in Assassin’s Creed erklimmen wir Türme, um zum einen Schnellreisepunkte freizuschalten und zum anderen, durch eine Art Suchspiel, allerlei findbares offenzulegen. Etwa Artefakte aus der Schatzkammer von Minas Ithil oder elbische Wörter, welche als Schlüssel zu Rätseltüren dienen. Anders als bei Assassin’s Creed weiß Mittelerde: Schatten des Krieges jedoch den Spieler zum Aufsammeln dieser Dinge zu motivieren. Hinter jedem gesammelten Artefakt verbirgt sich nämlich, wie in den neueren Tomb Raider Spielen, eine kurze Geschichte, in der historische Ereignisse oder kulturelle Gebräuche in Mittelerde erläutert werden. Auch die Rätsel-Türen konnten den Sammler in mir wecken, geben sie doch beim Öffnen legendäre Ausrüstung preis.

Das Kampfsystem ist ohne Frage von Rocksteady´s Arkham Reihe inspiriert. Mit der Viereck-Taste des PS4 Controllers schnetzeln wir uns durch die Orkhorden. Mit gut getimtem Einsatz der Dreieck-Taste lassen sich Angriffe blocken. Schaffen wir eine längere Aneinanderreihung von Angriff und erfolgreichem Blocken erhöht sich dadurch unser Trefferzähler. Ab einer gewissen Höhe des Zählerstandes lassen sich, je nach Skillung des Charakters, diverse Spezialattacken, wie etwa Instantkills oder die Schnellübernahme von feindlichen Orks, durchführen. Auch wenn sich die Kämpfe in Mittelerde: Schatten des Krieges weitgehend flüssig spielen erreichen sie leider nie die smoothe Eleganz des großen Vorbildes. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Kämpfe oft, gerade gegen größere Gruppen, sehr unübersichtlich sind. Ebenfalls ärgerlich ist, dass häufig mehr Gegner gleichzeitig angreifen als Talion in der Lage ist abzublocken. So erwische ich mich leider immer wieder dabei wie ich mich wie ein Igel aus der Masse rolle anstatt mich stylisch durch Horden von Saurons Dienern zu schnetzeln und mich an deren Blut zu ergötzen. In Punkto Gewalt verlangt Mittelerde: Schatten des Krieges übrigens einen sehr, sehr starken Magen. Die Kämpfe triefen vor Blut und freigelegten Eingeweiden. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass Peter Jackson in Anbetracht der schieren Masse an herumfliegenden Köpfen und Gliedmaßen vor Freude in Tränen ausbrechen würde.

Neu bzw. besser ausgearbeitet ist die Möglichkeit, Talion durch Skillpunkte zu leveln. Man schaltet diese Skillpunkte durch sammeln von Erfahrung oder durch abschließen mancher Nebenquests frei. Diese lassen sich dann frei in einem umfangreichen Skilltree investieren. Leider besteht hier das Problem, dass man, nachdem man die wichtigsten Skills Talions freigeschaltet hat, bei den Hauptfähigkeiten nur mehr „Feintuning“ vornehmen kann. Sobald ich Talions Skills auf meine Spielweise angepasst habe, kann ich erworbene Skillpunkte nur mehr in Fähigkeiten investieren die ich nie benötige, anstatt ausgewählte zu verbessern. Leider wirft einem Mittelerde: Schatten des Krieges die Skillpunkte ziemlich nach. Am Ende hat mich das Skillsystem leider mehr genervt als motiviert, da ich einfach nicht mehr wusste, wohin mit den Punkten. Hier hätte ich mir vielleicht etwas weniger Fähigkeiten gewünscht und stattdessen die Möglichkeit, diese dann auch sinnvoll verbessern zu können.

Eine Neuheit, die mich sehr zu begeistern wusste, war das Lootsystem. Ähnlich wie bei Diablo droppen gefallene Orks Rüstungsgegenstände wie Waffen, Rüstungen oder Edelsteine, mit denen man diese dann auch verstärken kann. Typisch für ein solches Feature gibt es auch hier verschiedene Qualitätsstufen. So entsteht durch den Wunsch immer besseres Gear zu finden eine Loot-Spirale, die zu motivieren weiß. Denn mal ehrlich: wer wünscht sich nicht einen top ausgerüsteten Mittelerde-Krieger, wenn möglich vielleicht sogar mit persönlicher Note?

Orks/Uruks – Schnapp sie dir alle!

Neben allerlei Verbesserungen von „geborgten“ Gameplayelementen aus Produkten der Konkurrenz, hat Monolith auch das größte Alleinstellungsmerkmal von Mordors Schatten verbessert – das Nemesis-System. Dieses Feature bringt prozedural generierte Orks hervor. Neben seinem individuellen Aussehen verfügt jeder Ork über ganz eigene Stärken und Schwächen. Während der eine durch Schleichattacken oder Hinrichtungen nicht zu töten ist, ergreift der andere vielleicht beim Anblick deiner Reitbestie schreiend die Flucht. Wie schon beim Vorgänger können sich die Orks in Mittelerde: Schatten des Krieges an vorherige Begegnungen mit dem Waldläufer erinnern. Jeder Kampf hinterlässt seine Spuren. Besiegt man zum Beispiel einen Ork im Kampf durch Feuer, wird dieser bei der nächsten Begegnung eine Brandnarbe tragen und vielleicht eine besondere Anfälligkeit für Feuer vorweisen.

Im späteren Verlauf des Spieles sind wir in der Lage, Orks zu beherrschen und so unsere eigene Armee aufzubauen. Dies wird spätestens wenn es darum geht die diversen Festungen in Mittelerde zu erobern, ein zentrales Element von Mittelerde: Schatten des Krieges.

Einmal übernommen erweisen sich Saurons Diener als äußerst praktisch. So können sie einen im Kampf unterstützen oder feindliche Häuptlinge infiltrieren und diese später bei Bedarf in den Rücken fallen. Man kann sie auf diverse Missionen schicken, welche sie bei erfolgreichem Abschluss im Level aufsteigen lassen. Dabei bleibt es einem selbst überlassen ob man Zeit verstreichen lässt und das Ergebnis abwartet oder aktiv in die Mission einsteigt und seinen Schützling tatkräftig unterstützt. Manchmal kommt es auch zu überraschenden Situationen. Ich hatte einen Kampf verloren, sah schon die Axt meines Gegenübers zum finalen Schlag ausholen, als plötzlich einer meiner Jungs zwischen mich und meinen Gegner sprang. Er hatte mir das Leben gerettet. Ich fand es ziemlich cool, dass man mit seiner Armee eigene kleine Geschichten erlebt. Dies führte dazu, dass mir einige der Soldaten richtig ans Herz wuchsen. Umso trauriger war es, wenn ich dann von ihnen verraten wurde, denn die Treue eines Orks ist nicht von unerschütterlicher Beständigkeit gezeichnet. Besonders tragisch ist es, wenn man einen legendären Mitstreiter töten muss. Denn wie Waffen und Rüstungen sind auch Ork, oder Uruks, wie sie im Spiel genannt werden, in verschiedenen Qualitätsstufen unterteilt. So haben Orks höherer Stufen spezielle Boni, wie Reittiere, Gefolgsleute oder vergiftete Waffen. Man kann seine Orks auch aufrüsten in dem man sie in gewissen Fähigkeiten ausbildet. Die benötigten Schriftrollen dafür bekommt man aber hauptsächlich in Lootboxen.

Lootboxen und der 3. Akt

So gut Talions Geschichte auch geschrieben ist, wirkt das vermeintliche Ende von Mittelerde: Schatten des Krieges etwas unbefriedigend. Dies liegt aber daran, dass dies nicht das Ende ist. Das wahre Ende findet man in Form eines Epilogs nach dem 3. Akt – Die Schattenkriege. Diese gestalten sich leider als äußerst zäh und die scheinbare Idee dahinter nahm mir etwas von der Freude am Spiel. Dieser Teil des Spiels zog sich bei mir knapp 10 Stunden. Dialoge oder Zwischensequenzen suchte man leider darin vergebens. Im Laufe der zehnteiligen Schattenkriege, in welchen es diverse Festungen zu verteidigen gilt, werden die Angreifer immer stärker und überragen zum Teil auch Talions Maximallevel von 60. Um auch nur irgendwie eine Chance zu haben sieht man sich gezwungen ewig lang zu grinden. Zwar kann man seine Orks, dem Nemesissystem sei Dank, aus Saurons Armee rekrutieren, nur gestaltet sich das Hochleveln dieser als so langweilig, dass ich mich dabei erwischte wie ich mit den Ingame-Store liebäugelte. So muss es sich wohl in der Gegenwart des einen Ringes anfühlen. Zum Glück konnte ich der Versuchung widerstehen und pulverte das durch töten von Orks erhaltene Miran in minderwertige weiße Lootboxen, die zwar auch etwas Erleichterung bringen, allerdings nicht in diesem Maß das ich bekommen hätte, wenn ich mir für Echtgeld goldene Lootboxen geholt hätte. Und da steht mein größtes Problem mit Mittelerde: Schatten des Krieges. Ich habe prinzipiell kein Problem mit Ingame-Stores. Wir sind alle erwachsen genug um entscheiden zu können ob wir ein Angebot nutzen wollen oder nicht. Allerdings finde ich es dann schon etwas dreist, wenn man ein Ende, welches alle offenen Fragen beantwortet, hinter eine Grindorgie setzt, die einen Menschen mit weniger Zeit vielleicht dazu zwingt auf dieses Angebot zuzugreifen, um eine runde Geschichte erleben zu können. Mir ist schon klar, dass man Geld verdienen will, allerdings kann ich diese Strategie nicht gut heißen.

Technisch fast einwandfrei

Grafisch lässt sich kaum etwas bemängeln. Die Figuren sind alle toll gestaltet und animiert. Etwas störend fand ich, dass Talion in den Zwischensequenzen immer eine gänzlich andere Ausrüstung trug, als ich ihm angelegt hatte. Mir ist schon klar, dass dies daran liegt, dass die Sequenzen vorgerendert sind, aber solche Sachen sind mir immer ein Dorn im Auge, da es die Immersion für mich bricht. Auch die Landschaften von Mordor sind abwechslungsreich und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Beim Art-Design hat man sich sehr von den Filmen inspirieren lassen. Gerade was Landschaft und Architektur betrifft hatte ich oft das Gefühl inmitten einer Zeichnung von John Howe zu stehen. Wahnsinn!

Die Steuerung leidet wie bei den klassischen Assassin’s Creeds an diversen Macken. Da Talion durch Halten der X-Taste sowohl sprintet als auch klettert, fand ich mich das eine oder andere Mal auf einer Mauer wieder, anstatt schnell das Weite zu suchen. Auch das Kampfsystem ist, wie bereits erwähnt, nicht so präzise wie in der Arkham Reihe, denn gerade das Blocken wird im Kampf gegen größere Horden fast unmöglich.

Vom Sound war ich, wie meistens, sehr angetan. Wenn der Balrog brüllt, die Trommeln hämmern, die Schwerter klirren, oder der epische Score erklingt bebt die 5.1 Anlage und mein Herz vor Freude gleich mit.

FAZIT

Ja, ich liebe Herr der Ringe und freue mich daher immer auf neuen Stoff aus diesem Universum. So hatte es mir bereits Mittelerde: Mordors Schatten trotz unfokussierter Story angetan. Mittelerde: Schatten des Krieges übernimmt viele Stärken, verbessert diese und korrigiert Schwächen des Vorgängers. Spielerisch ist es dank diverser Missionen und den Festungseroberungen sehr abwechslungsreich und außerdem punktet Mittelerde: Schatten des Krieges diesmal auch mit einer epischen Story und interessanten Figuren. Da diese recht gut funktionieren bin ich auch gewillt diverse künstlerische Freiheiten (sexy Kankra) zu akzeptieren. Das Nemesis-System wurde massiv verbessert und bringt Orks hervor, die einen, dank ihrer Unberechenbarkeit, immer wieder überraschen und irgendwie ans Herz wachsen. Leider verhindert der letzte Akt mit seiner Grindorgie, die mehr oder weniger zum ausgeben von Echtgeld verführen soll, höhere Wellen der Begeisterung.

Gesamtwertung: 8.0

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 6 | Spieldesign: 8 | Motivation: 6

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