Im Homeoffice wäre das wohl nicht passiert: Damit der Chef nichts von seiner Verspätung mitbekommt, muss sich der Hauptcharakter im Adventure The Biggleboss Incident durch alle Abteilungen des Firmengebäudes rätseln. Wenn das Unternehmen dabei den Slogan führt, dass dort nichts Schlimmes passiere, ist zu erwarten, dass nicht alles so ist, wie es zu Anfang scheint…
Lebenskünstler unter sich
Entwickler Adam Bunker ist ein echter Tausendsassa. In seiner Vita finden sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit Tätigkeiten als Content Manager, Produktdesigner, App Designer, Zeichner und Buchautor. Als großer Fan der alten LucasArts-Adventures hat sich Adam Bunker in den letzten 5 Jahren auch an die Entwicklung eines 2D-Point&Click-Adventures gewagt. Die Entstehungsgeschichte seines Herzensprojekts kann man in seinem Entwicklertagebuch auf YouTube detailliert nachverfolgen. Am 22. Juli ist „The Biggleboss Incident“ nun erschienen.
Dabei ist die Spielfigur ein ähnlicher Lebenskünstler wie dessen Entwickler. Der generell unterdurchschnittlich motivierte Angestellte Tom Baron scheint es immer wieder zu schaffen, mit minimalem Aufwand aber höchster Kreativität bei seinem Vorgesetzten zu punkten. Bei Spielbeginn schlägt Tom mal wieder viel zu spät im Gebäude auf – und muss zudem seinem Chef Mr. Biggleboss mit Projekt AGER noch ein wegweisendes Projekt vorstellen. Da das Gebäude nach Beginn der Präsenzzeit abgeriegelt und zugangsüberwacht wird, ist der direkte Weg in das eigene Büro zunächst versperrt.
So findet sich Tom wenig später an der Rezeption wieder und sieht sich einem Kollegenkreis gegenüber, der zwar durchaus hilfsbereit auftritt, genretypisch aber mindestens einen Gefallen einfordert, ehe man zur Tat schreitet. Zunächst muss ein defekter Drucker repariert werden. Mit der weiteren Spielzeit fächern sich die Aufgaben weiter auf und führen durch alle Abteilungen der Biggleboss Inc.
Die lieben Kollegen…
Wer bei diesen Reparaturaufgaben zunächst an recht ernstgemeinte Uralt-Titel wie „Das Telekommando“ denkt, sieht sich mit einer gänzlich anderen Tonalität konfrontiert. Manche Lösungswege sind überaus skurril und ohne ein Ausprobieren nicht zu knacken. Ohne zu viel zu verraten, hätte ich nicht vermutet, in der Kantine einen Toner-Ersatz für den lädierten Drucker zu erhalten. Auch die Charaktere sind deutlich überzeichnet und orientieren sich an Klischees, die man (in hoffentlich abgeschwächter Form) vielleicht in seinem Arbeitsumfeld antreffen kann. Das Highlight ist dabei der überaus sportliche Kollege auf dem Screenshot, der mit seinem steirischen Akzent klar einen Hollywood-Star und Ex-US-Gouverneur persifliert. Der Titel hat im Übrigen nur eine (sehr gute) englische Sprachausgabe. Andere Sprachen fehlen, genauso wie deutsche Untertitel.
Der Entwickler will bei guten Verkaufszahlen die Lokalisation seines Spiels aber vorantreiben. Der Wortwitz, der sich aus den vielen Dialogen entspinnt, weiß grundsätzlich zu gefallen. Gerade für ein Adventure mit dem Schwerpunkt Humor und dem großen Vorbild „Monkey Island“, waren mir persönlich aber zu wenige Gespräche und Momente dabei, die wegen ihrer Originalität in Erinnerung geblieben wären.
Die streng lineare Geschichte geht zunächst äußerst gemächlich voran. Diese Feststellung ist aber weniger als Kritikpunkt, sondern mehr als Standortbestimmung zu verstehen. Insbesondere Genrefans, denen jüngst veröffentlichte Titel wie „The Drifter“ zu actionreich und hektisch gewesen sein mögen, werden hier sicherlich einen besseren Zugang finden.
Im letzten Drittel des Spiels verschiebt sich der Fokus weg vom Büroalltag und hin zu der sich immer weiter aufbauenden Verschwörung innerhalb der Firma. Das ist richtig clever geschrieben und führt zu einem Ende, welches das Spielerlebnis im Gesamten nochmals aufwertet.
Eine sichere Bank
So wie Tacker, Telefax und Aktenkoffer untrennbar mit dem Thema Büro verbunden sind, wagt auch „The Biggleboss Incident“ innerhalb des Genres keine Experimente. Rätsel löst man klassisch dadurch, dass man die richtige Dialogauswahl trifft oder einem Charakter den richtige Gegenstand übereignet.
Unterstützt wird man dabei durch eine Hotspot-Anzeige. Im Inventarbereich integriert ist zudem ein Tagebuch, welches übersichtlich aufführt, welche Aufgabenstellung in welchem Büro gerade offen ist. Dabei gibt es oft noch zarte Hinweise, wo man für eine Lösung anzusetzen hat.
Eine nette Innovation im Kleinen ist, dass das Kombinieren von Inventarobjekten immer mit einer eigenen kurzen Zwischensequenz einhergeht. Das erzeugt ein schönes Belohnungsgefühl. Dieser Aufwand war von einem Ein-Mann-Entwicklungsprojekt so gar nicht zu erwarten gewesen.
Bei der Präsentation seiner 2D-Comic-Grafik kann der Titel jedoch nicht ganz verbergen, dass Adam Bunker alleine in der Unity-Engine gewirkt hat. Die Qualität der gezeichneten Figuren schwankt recht stark und auch die Hintergründe sind teilweise arg verwaschen. Dafür sind die Animationen über jeden Zweifel erhaben und für ein so kleines Projekt äußerst detailreich. Auch einzelne Effekte werten die Optik auf. Ein Beispiel ist das schön umgesetzte Prasseln des Regens an die Bürofenster. Nach dem Release gab es noch die ein oder andere technische Ungereimtheit. So ist ein Spielen im Vollbildmodus aktuell nur über die Tastaturkombination Alt + Enter möglich. Erste Hotfixe sind in Arbeit. Zu Abstürzen oder Auffälligkeiten kam es während der knapp vierstündigen Spielzeit allerdings nicht.
Die musikalische Untermalung setzt sich aus meist freundlich-beschwingten Stücken zusammen. Da sich einige Tracks sehr zügig wiederholen, wird man gerade beim längerem Verbleib in einem Raum durchaus in die Überlegung verfallen, ohne Musik weiterzuspielen.
Zusammenfassung
FAZIT
The Biggleboss Incident ist ein überaus klassisches 2D-Point&Click-Adventure. Quick-Time-Events, zeitkritische Aktionen oder ein mögliches Ableben wird man in den Räumlichkeiten der Biggleboss Inc. nicht antreffen. Das Erstlingswerk von Adam Bunker bewegt sich dabei selbstbewusst wie meist trittsicher in den bestehenden Genre-Standards, ohne aber abseits des denkwürdigen Endes viele eigene Akzente setzen zu können. Adventure-Puristen, denen die diesjährigen Beiträge zu modern ausgefallen sind, können hier in jedem Fall zusammen mit dem Hauptcharakter Tom einen Blick in die Unternehmensinterna wagen.