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Nachspiel: Night Call

Berater. Psychologe. Ratgeber. Freund. Dies sind nur einige der Rollen, die ein Taxifahrer auf den nächtlichen Straßen von Paris einnimmt. Denn seine besondere Gabe? Die Leute zum Reden zu bringen, sie in emotionalen Momenten aufzufangen, Wahrheiten zu finden. Doch können wir so Verbrechen aufklären? Schaffen wir es so, den Serienkiller zu schnappen, der auch uns fast erwischt hätte?

Detektivjagd im Noir-Stil

Night Call ist ein narratives Kriminalspiel welches ausschließlich auf textbasierten Dialogen basiert, und in einem spannenden Noir-Stil gehalten ist. In den Schuhen eines einfachen Taxifahrers kämpfte ich mich durch die verregneten Straßen von Paris. Namen oder Hintergrund des Fahrers werden im Spiel stets nur durch leichte Hinweise angedeutet, jedoch nie wirklich offenbart. Das ist hier aber auch nicht notwendig – denn die Aufgabe ist es nicht selbst zu reden, sondern den eigenen Gästen ihre dunklen Geheimnisse zu entlocken.

Denn ein brutaler Serienmörder ist in den Pariser Straßen unterwegs. Der Protagonist selbst kam nach einem Angriff des Täters nur knapp mit dem Leben davon. Doch die Erinnerung an die Nacht ist verschwommen. Dies führt die Polizei auf unsere Spur, und erzeugt Zweifel an den eigenen Absichten. Um unsere eigene Unschuld zu beweisen, müssen wir den wahren Killer finden. Dazu bleiben genau sieben Nächte, bevor das eigenes Schicksal hinter Schloss und Riegel enden wird. Die Polizei liefert dazu fünf Verdächtige, welche genau unter die Lupe genommen werden müssen. Dazu bewegen wir uns frei in der großen Stadt, und wählen immer zwischen mehreren, möglichen Passagieren den Nächsten aus.

Dafür bietet Night Call drei unterschiedliche Detektiv-Fälle. Jede Nacht gilt es, unterschiedliche Passagiere zu befördern, und dabei mit Zeit und Tankfüllung auszukommen. Je nach Modi und Schwierigkeit ist es leichter an Geld zu kommen, oder auch längere Strecken mit wenig Tank zurückzulegen. Dabei gilt es immer abzuwiegen, wie die begrenzte Zeit am Besten investiert werden soll. Jede Nacht traf ich auf die unterschiedlichsten Charaktere. Von einem streitenden Ehepaar, über eine Katze mit Geld, bis hin zu Santa Claus – hier war wirklich alles dabei. Die bunte Vielfalt der Charaktere ist eine der größten Stärken von Night Call. Manche Bewohner treffen wir mehrmals, und sie öffnen sich dabei immer mehr. Mit den eigenen Antworten kann man ihnen Geheimnisse entlocken, oder sie verschrecken oder verärgern.

Was mich dabei besonders beeindruckt hat, ist die gesamte Atmosphäre des Spieles. Der Noir-Stil weiß auf ganzer Linie zu überzeugen, alle Charaktere haben ein eigenes, liebevolles Modell bekommen. Jedes Detail ist dabei handgezeichnet und individuell. Die Musik untermalt die Gestaltung ideal, und das gesamte Spiel ist eine gelungene, fast filmisch wirkende Inszenierung.

Spannende Charaktere sind Nachts in Paris unterwegs

Aufgebaut wie ein Puzzle – jedoch ganz ohne Vorlage

Obwohl das Setting von Night Call absolut zu überzeugen weiß und ich bisher selten eine so fesselnde Atmosphäre in einem Indie-Game erlebt habe, gab es einige Steine welche sich in meinen Weg legten. Es war durchaus ein schwieriges Spiel für mich. Dabei war ich großer Fan der Spielidee, das Setting überzeugte sofort vom ersten Start an, und als jahrelanger Fan von narrativen wie beispielsweise der Life is Strange Reihe sollte dies dann doch ein Selbstläufer für mich werden!

Doch… falsch gedacht. Denn Night Call hat ein schwerwiegendes Problem: seine Undurchsichtigkeit. Man versucht im Spiel ständig mühevoll ein Puzzle zusammenzusetzen, dessen Vorlage man aber nicht einmal kennt! Zu viele Besucher des Taxis erzählen Geschichten die überhaupt nichts mit dem eigentlichen Mordfall zu tun haben. Die wenigen Hinweise, die man in den sieben Nächten sammelt, haben oft gar keinen Zusammenhang, und lassen sich nicht überspringen. Bei vier Durchläufen habe ich – teils sogar in Teamwork mit meinem Freund – kein einziges Mal auf Anhieb den richtigen Mörder gefunden, weil es aufgrund der Hinweise gar nicht möglich war. Denn nein, nicht die Person mit zehn passenden, absolut logischen Hinweisen ist der Serienkiller –  es war natürlich der ehemalige Polizeichef auf welchen nur drei sehr allgemeine Hinweise zutreffen… Ahja. Okay. Na dann.

Die erhaltenen Hinweise sind einfach viel zu allgemein und undurchsichtig gehalten. So sehr dass sie sogar automatisch den Verdächtigen zugeordnet werden. Also von wegen richtige Detektivarbeit! Rätselraten trifft es leider eher. Denn selbst diese Verbindungen brachten mich überhaupt nicht weiter. Was bringt mir die Notiz, dass der Killer größer als 1.80 Meter ist, wenn dies auf alle fünf Verdächtigen zutrifft? Wie soll ich in der letzten Nacht eine Entscheidung treffen, ich nur einen der fünf Verdächtigen überhaupt einmal im Taxi sitzen hatte? Wie soll ich so herausfinden, auf wen ich mich konzentrieren soll? Und vor allem: warum sollte ich so denn eigentlich Hinweise sammeln, wenn es gefühlt eh gar nichts bringt?

Das Spiel weiß oft selbst nicht so richtig, wo es eigentlich hinmöchte. Das merkte ich spätestens, als aus dem Nichts der Geist eines kleinen Jungen anfing ab und zu in meinem Taxi vorbeizuschauen. Mich dabei bittet, in komplett irrelevante Straßen abzuschweifen, und dabei alte Geschichten zum Besten gibt. Ja doch – spätestens dann zweifelst du daran, ob du eigentlich deine Zeit hier sinnvoll investierst.

Auch wenn die Atmosphäre überzeugt – fehlt dem Spiel ein Ziel vor Augen.

Technische Fehler als Hindernis bei der nächtlichen Streif

Da Night Call als storybasiertes Spiel kein wirkliches, anspruchsvolles Gameplay bietet, lebt es einzig und allein von der einzigartigen Atmosphäre in Kombination mit den zahlreichen, textlichen Dialogen mit den Einwohnern und Besuchern in Paris. Besagte Dialoge wurden bisher jedoch von den Entwicklern nicht vollständig übersetzt. Night Call bietet in der „deutschen“ Version einen bunten Mischmasch aus deutschen Dialogen, einem englischen Interface – jedoch auch phasenweise komplett französischen Passagen.

Das hat mich persönlich wirklich sehr gestört. Ich bin bereits zu Schulzeiten mit der französischen Sprache einfach nicht warm geworden. Dementsprechend waren meine Kenntnisse hier durchaus begrenzt. Wenn dann aber wichtige Passagen – wie beispielsweise das große Finale am Ende der sieben Nächte, wo wir einen Verdächtigen eines Mordes beschuldigen – komplett auf französisch angezeigt wird, und man hier auch noch französische Entscheidungen treffen soll, stellt das den Spieler doch vor wirklich große Probleme.

Ansonsten lief das Spiel zu den meisten Zeiten relativ flüssig, und blieb lediglich einmal komplett hängen, nachdem ich eine Katze am Pariser Flughafen abgesetzt hatte. Ob das nun ein Bug oder ein Feature war, wollte ich zu diesem Zeitpunkt aber bereits nicht mehr hinterfragen. Da hatte oben angesprochener Geist bereits zweimal zu viel in meinem Taxi vorbeigeschaut, und ich ergab mich bereits meinem Schicksal.

FAZIT

Ich hatte wirklich hohe Erwartungen an Night Call. Die Idee bot unglaubliches Potential, doch der eigentlichen Umsetzung fehlt einfach noch das gewisse Etwas, ein roter Faden, sowie ein finaler Schliff. Night Call möchte gefühlt vieles sein – ein story-basiertes Spiel, welches emotionale Geschichten erzählt, ein Detektivspiel, ein Spiel welches durch die einzigartige Atmosphäre lebt … und scheitert hier aber etwas an den eigenen, hochgesteckten Zielen. Es hätte den Entwicklern gut getan, sich hier auf ein besonderes Merkmal zu konzentrieren, anstatt nach dem goldenen Gral der Videospiele zu streben.

Denn es ist schwierig, sich trotz grafischer Überzeugung dafür zu motivieren ein Puzzle zu lösen, dessen Vorlage man nicht kennt. Wann man keinen Sinn in den Unterhaltungen mit den Passagieren sieht, was aber doch der Kern des Spieles sein sollte. Ich hoffe sehr, dass hier vielleicht im Laufe der Zeit noch auf Community Feedback Rücksicht genommen wird, und vielleicht etwas an den aktuellen Hinweisen, sowie an der Übersetzung des Spieles geschraubt wird. Dennoch kann ich Fans von narrativen Spielen empfehlen, dennoch einen kurzen Blick auf Night Call zu werfen – wenn auch nur, um die geschaffene Atmosphäre des nächtlichen Paris zu genießen. Denn vielleicht kann manch anderer den Geschichten der Passagiere mehr abgewinnen, auch ohne rotem Faden und direktem Ziel. Mir ist dies leider nicht gelungen.

Was ist Night Call? Ein narratives, textbasiertes Kriminalspiel im Noir-Stil. In den Schuhen eines Taxifahrers gilt es, einen Serienmörder in den dunklen Straßen von Paris aufzuspüren.
Plattformen: PC (Steam), Nintendo Switch, PlayStation 4, XBOX One
Getestet: auf PC, Intel Core i7-2600K, 16GB RAM, NVIDIA GTX 1080
Entwickler / Publisher: BlackMuffin / Raw Fury / MONKEYMOON SARL
Release: 17. Juli 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 6.8

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 6 | Spieldesign: 4 | Motivation: 4

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