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Need for Speed Heat im Test

Bittet man einen eingefleischten Autofahrer sich eine perfekte Welt auszumalen, wäre das Ergebnis wohl ziemlich genau Palm City – der Schauplatz von Need for Speed Heat: breite, gut ausgebaute Straßen, keinerlei Fußgänger oder Radfahrer, wenig Verkehr, physikalische Regeln aus einer anderen Welt, Bäume und andere Hindernisse, die ungefähr so massiv sind wie Pappe und obgleich es fast ständig regnet, ist in den Nachrichten nie die Rede von „Klimawandel“, „CO2-Steuer“ oder „Greta“. … Achja: und „Weltfrieden“! Herrlich! Am Ende ist die Welt des neuen Need for Speed dann aber doch keine, in der Öl und Honig fließen. Tatsächlich wird‘s sogar recht schnell fad in Heat. Warum? Weiterlesen!

Ghost Games, die schwedischen Entwickler, die sich seit nunmehr sechs Jahren und vier Titeln um die ikonische Spieleserie rund ums effektvolle Rasen kümmern dürfen, wollten mit Heat eine Art Best of Need for Speed abliefern: eine offene Welt samt zahlreicher to-dos, legale aber auch illegale Rennen, Verfolgungsjagden mit den Cops und eine Story. Die prägende Idee, das alles in ein Spiel zu packen: eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Tag und Nacht. Während ihr also unter Tags überall in der Stadt mit euren getunten Schlitten bei offiziellen Speedhunters-Veranstaltungen mit Siegen Geld scheffeln könnt, verdient ihr euch bei illegalen Rasereien in der Nacht den Respekt der lokalen Tuner- und Raser-Szene. Den wiederum braucht es, um all die Autos und Teile freizuschalten, mit denen ihr um das gewonnene Geld euren Fuhrpark aufstocken könnt.

Apropos Fuhrpark: 127 Autos sind im Spiel enthalten. Dabei reicht die Auswahl von piekfeinen Klassikern wie einem Aston Martin DB5, über Tuning-Ikonen ala Mazda RX-7, bis hin zu top-modernen Hypercars vom Schlage eines Ferrari FXX-K Evo oder Lamborghini Aventador SVJ Roadster. Ja sogar Geländewagen wie der gute, alte Land Rover Defender haben es ins Spiel geschafft. Diese breite Palette schafft es ganz gut darüber hinwegzutäuschen, dass die Auswahl ein ganzes Stück weniger üppig ist als etwa bei Forza Horizon 4 (450 Stück). Dennoch kann zumindest ich es der Markenrechts-Abteilung nur schwer verzeihen, dass man es neben ein paar anderen Herstellern vor allem nicht geschafft hat Toyota ins Boot zu holen. Ein Tuning-Spiel ohne die Möglichkeit an einem Supra herumzuschrauben – egal ob alt oder neu? Schade. Vor allem, da der Tuning-Part hier im Grunde das absolute Highlight des ganzen Spiels ist – die nötige, persönliche Begeisterung vorausgesetzt, versteht sich. Neben den schon von früher bekannten, umfangreichen Modifikationen von Schürzen, Hauben, Schwellern, Leuchten, Grills und der Möglichkeit Unterbodenbeleuchtungen zu montieren oder nach Herzenslust Decals auf sein nach Belieben lackiertes Auto zu picken, kann nun nämlich sogar der Motorensound mittels vier Schiebereglern feingetunt werden. Da lacht das Benzinbruder-Herz.

Physik folgt Funktion

Need for Speed Heat hat zu keiner Zeit den Anspruch, sich abseits vom Vorhandensein der Schwerkraft auch nur annähernd an die uns bekannten Regeln der Physik zu halten. Driften etwa passiert hier angenehm deppensicher: in eine Richtung lenken, kurz Gas wegnehmen und wieder durchdrücken. Voilá! Schon geht der Wagen quer – jeder. Auch die Fahrleistungen der Autos wurden streng dem ins Spiel integriertem Leistungsindex-System untergeordnet; auch wenn das Ergebnis irgendwie nicht ganz schlüssig wirkt. So kann es also passieren, dass ein rund 400 PS starkes Auto beim Bergauffahren über eine Bergstraße bei rund 160 km/h einfach nicht mehr schneller werden kann. Zumindest bei mir Anlass genug für eine streng nach oben gezogene Augenbraue.

Den selben Gesichtsausdruck erntete das Spiel für das Fehlen einer Cockpit-Perspektive und einer Replay-Funktion, sowie der nicht vorhandenen Unterstützung für Lenkräder. Auch bei der Konzeption der über die ganze Welt verteilten Events wurde so manche fragwürdige Entscheidung getroffen: Dass etwa auch die Strecken der „offiziellen Rennen“ ab und an durch geschlossene Schranken oder Tore führen, ist dabei noch leicht zu ignorieren. Dass es hingegen nur eine Empfehlung für die Leistungsklasse in einem Rennen, aber keine Obergrenze gibt, ist spätestens dann ein Problem, wenn man die Multiplayer-Komponente des Spiels aktiviert. Dort kann es nämlich passieren, dass man mit einem Auto mit Leistungsindex 200 in ein passend ausgewiesenes Rennen einsteigt, dann aber von anderen Piloten mit „400er-Autos“ in Grund und Boden gefahren wird. Glücklicherweise kann man sich aber auch entscheiden, das Spiel komplett solo anzugehen – Online-Zwang gibt es keinen.

Voll und doch leer

Wie früher schon kurz angesprochen ist die üppig dimensionierte Welt von Need for Speed Heat prallvoll mit allerhand „tu-barem“: Radarfallen zum Durchheizen, Driftzonen zum Abqualmen, Plakatwände zum Durchspringen, Schanzen zum Weitfliegen, Grafittis zum Abpausen (und fürs Auto verwenden) und Flamingos zum Überfahren (aus Plastik, versteht sich) sorgen nach und nach dafür, dass die Übersichtskarte von an Miami angelehnten Palm City bald zum Platzen voll erscheint. Vor allem, weil darüber hinaus freilich noch zahlreiche Rennen auf euch warten. Diese sind unterteilt in „Rennen“, in denen es meistens um High-Speed geht, „Straßen“-Events, bei denen auch schärfere Kurven gefahren werden müssen, „Offroad“-Veranstaltungen die euch vor allem querfeldein führen und „Drift“-Bewerbe, die vermutlich nicht näher erklärt werden müssen. Außer bei den Drift-Events tretet ihr dabei immer direkt gegen KI-Fahrer an. Auf eine Gummiband-KI haben die Entwickler dabei glücklicherweise verzichtet. Sonderlich imposant sind die Gegner trotzdem nicht. Die KI-Piloten folgen meist stumpf ihrer Linie – Spiele wie Forza Horizon oder GRID, wo jeweils sehr intensive Rennen geboten werden, haben bewiesen, dass das heutzutage besser geht.

Gerade Forza hat es zudem auch geschafft, das legere Brettern durch die Welt deutlich interessanter zu machen als es bei Need for Speed Heat der Fall ist. Dort cruisen nicht nur auch andere Piloten herum und können herausgefordert werden, auch macht driften und/oder Sachen nicht nur Spaß, sondern auch Sinn, bringt es doch Punkte für den Levelaufstieg. Hier nicht. Überhaupt wirkt die Welt von Forza Horizon 4 im Vergleich zu der aus Need for Speed Heat deutlich lebendiger und interessanter. Daher ist die Schnellreise-Funktion schon bald euer bester Freund in Heat. Damit könnt ihr zwar nicht überall hinspringen, wo ihr wollt, aber zumindest zu den doch recht großzügig verteilten Garagen und Händlern im Spiel.

Das einzige, was Heat dem aktuellen Teil von Forza Horizon unumstößlich voraushat, sind freilich die Cops. Während diese euch unter Tags fast vollkommen in Ruhe lassen (erst wenn man ihnen reinfährt, machen sie Jagd auf einen), ziehen sie des Nächtens die Samthandschuhe aus und jagen euch mit aller Macht – was übrigens auch Dreh- und Angelpunkt um die aber leider recht langweilige Story des Spiels ist. Wie gewohnt steigt dabei im Laufe einer Nacht nach und nach euer „Heat-Level“. Während euch also zu Beginn nur schnöde Streifenwagen hinterherjagen, eskaliert die Lage gegen Ende bis hin zu Hubschrauber-Einsätzen und Nagelbändern. Leider sind die Auseinandersetzungen mit den Cops aber auch alles andere als perfekt. Das Balancing etwa ist komplett daneben. Das liegt vor allem daran, dass hier sehr wohl wieder das verhasste „KI-Gummiband“ zum Einsatz kommt. Wann dieses reißt, wirkt oftmals komplett beliebig. Da ist die eine Verfolgungsjagd schon nach Sekunden vorüber, und gleich bei der nächsten hängen euch die Cops am Allerwertesten wie mutierte Superfliegen. An dieser Stelle ein kleiner Tipp: solange euch noch kein Heli folgt, versucht während einer Verfolgungsjagd einfach mal eines der zahlreichen Gewässer anzusteuern und düst geradewegs hinein. Das zumindest bei mir gelegentlich eintretende Ergebnis: Man selbst respawned am Ufer, die Cops saufen ab. „ESCAPED“. Dankeschön.

Desto schlechter, desto besser

Kommen wir zum Schluss noch zur Technik. Alles in allem ist Need for Speed Heat leider kein optisches Brett geworden, das es mit dem schon oft zitierten Forza Horizon 4 aufnehmen kann. Es hat aber durchaus seine Momente. Das Zauberwort lautet hier: Spezialeffekte! Nicht umsonst regnet es in Palm City fast ständig. Während Need for Speed Heat also bei Sonnenschein im Stillstand noch eher durchschnittlich aussieht, kann es bei Regen, in der Nacht, während einer Verfolgungsjagd mit den Cops dank all der Spiegellungen, Lichtbrechungen und Partikeleffekte schon durchaus als optischer Leckerbissen bezeichnet werden – das kann sie eben, die verwendete Frostbite-Engine. Gut auch, dass zumindest die PS4 Pro, die ich für den Test verwendet habe, dabei auch nie ins Schwitzen kommt. Der Sound ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Die Motorensounds klingen knackig und authentisch, der Soundtrack ist stimmig … aber leider vom Stil her auf Rap und Co. beschränkt. Ich hab‘ ja fast schon ein schlechtes Gewissen ständig Forza Horizon 4 zu erwähnen, aber dort wurde nun einmal auch das besser gelöst. Stichwort „Radiosender“. Aber hey: dafür könnt ihr hier euren Avatar mit einer ungeheuer großen Auswahl an Kleidungsstücken ausstaffieren. Auch cool … oder so. Naja, zumindest gibt’s keine Lootboxen.

FAZIT

Need for Speed Heat ist besser als befürchtet, aber nicht so gut wie erhofft. Das optische Tuning ist konkurrenzlos, die Grafik bei Schlechtwetter sehenswert, das Handling spaßig, die Rennaction gut und der Umfang ebenso. Fans von Tuning und spaßiger Renn-Action können also zuschlagen. Simulations-Fans sollten aber freilich tunlichst die Finger vom Spiel lassen.

Was ist Need for Speed Heat? Ein Arcade-Rennspiel mit Fokus auf Tuning und Verfolgungsjagden mit Cops.
Plattformen:  PS4, XBox One, PC
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Ghost Games / EA
Release: 8. November 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 6.8

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 6 | Spieldesign: 6 | Motivation: 4

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