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Road to Cyberpunk 2077: Teil 1 – Was ist Cyberpunk?

Ist es möglich den menschlichen Körper über die Grenzen des Biologischen hinaus zu verbessern? Kann der Geist in digitaler Form jenseits der physischen Welt verweilen und so der Dunkelheit des Todes entrinnen? Schaffen wir künstliches Leben, das denken und fühlen kann wie ein Mensch und ist es dann nicht zugleich unsere Pflicht, es auch als solchen zu behandeln? Diese Fragen sind nur kleine Teilaspekte meines persönlich liebsten Subgenre der Science Fiction, dem Cyberpunk. In Teil 1 des Specials „Road to Cyberpunk 2077“ werde ich erläutern, wodurch sich das Genre definiert, wo es seinen Ursprung hat und was mich als Person so sehr daran fasziniert.

„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Ich sah C-Beams, glitzernd im Dunkeln nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. Zeit … zu sterben…“, dieses berühmte Zitat aus Ridley Scotts Blade Runner gehört für mich zu den schönsten Filmzitaten aller Zeiten und birgt so viel dessen in sich, was Cyberpunk für mich ausmacht. Gesprochen wird es von dem Replikanten Roy, ein künstlich erschaffener Humanoide – einer von vielen -, welcher vom Mensch kreiert wurde, um unmenschliche Aufgaben für diesen zu verrichten. Er und eine Handvoll Abtrünniger lehnen sich gegen ihre Herren auf, da sie mit einer streng limitierten Lebenserwartung gezeichnet wurden. Roys Aufbegehren gegen seine Schöpfer fußt auf dem Wunsch nicht sterben zu müssen. Technologie wächst über ihren Erschaffer hinaus, lernt die Schönheit der Existenz zu schätzen und hat Angst diese Erfahrungen zu verlieren. Ein rührendes und zugleich beängstigendes Gedankenspiel. Wenn die Schöpfung dem Schöpfer entwächst, dann ist es der vermeintliche Gott, der im Sterben liegt. Was also, wenn uns die Technik nicht in eine strahlende Zukunft führt, sondern in eine finstere, verzerrte Karikatur dessen, in der wir nicht mehr sind als die Opfer unseres Strebens nach Optimierung und Perfektion, willkommen im Cyberpunk!

Ein Schattenbild der Zukunft

Cyberpunk ist über weite Strecken eine Antithese zur klassischen Science Fiction, welche meist das Bild einer hoch technologisierten Gesellschaft zeigt, die die Barrieren der Gegenwart überwunden hat und sich auf eine strahlende Zukunft zu bewegt. Gene Roddenberry’s Star Trek ist ein Musterbeispiel dessen. Cyberpunk nimmt diese Grundprämisse und verkehrt sie ins Gegenteil. So blickt häufig man auf eine Menschheit, welche die Spitzen des technologisch Machbaren erreicht hat, aber aufgrund dieser Tatsache gesellschaftlich am Boden liegt. Getrieben durch die Philosophie des Transhumanismus optimieren sich jene, die es sich leisten können mit Prothesen und Implantaten an den Rand dessen, was man noch menschlich nennen kann. Dank des großen Wunsches der gehobenen Sozialschicht nach geistiger und physischer Optimierung, gelangen Konzerne an immer größeren Einfluss, was zum Ende klassischer Regierungen und demokratischer Strukturen führt.

Wie in jedem Gesellschaftssystem, wo finanzielle Stärke über den Platz in der Hierarchie entscheidet, gibt es jene die auf der Strecke bleiben. Es wird daher oft gerade in den unteren Schichten des Systems ein sehr finsteres Bild gezeichnet. Gangs kämpfen in den Straßen um die Vorherrschaft, die Armen suchen in Drogen und dem virtuellen Raum Zuflucht vor der grausamen Natur der eigenen Realität und die Polizei agiert willkürlich und autoritär.

Würde man also eine grobe Formel für Cyberpunk brauchen, könnte man diese mit den Worten „high techlow life“ formulieren. Doch neben gesellschaftsphilosophischen Fragen, widmet sich der Cyberpunk auch ganz anderen Gedankenexperimenten.

Cogito ergo sum

Ich denke, also bin ich. Der erste philosophische Grundsatz des französischen Philosophen René Descartes. Zu dieser Schlussfolgerung kam er, nachdem er seine eigene Erkenntnisfähigkeit in Frage gestellt hatte. Dies begründet er wie folgt: „Da es ja immer noch ich bin, der zweifelt, kann ich an diesem Ich, selbst wenn es träumt oder phantasiert, selber nicht mehr zweifeln.“ Nichts also ist zweifelsfrei real, außer das zweifelnde Ich. Auch das Hinterfragen der eigenen Realität findet sich in vielen Werken des Cyberpunks wieder. Der wohl berühmteste Vertreter dieser ist mit Sicherheit The Matrix aus dem Jahre 1999. Die damaligen Wachowski Brüder konfrontieren ihren Protagonisten Neo mit der Tatsache, dass seine Wirklichkeit nur eine Simulation in einer von Maschinen beherrschten Welt ist und er selbst nicht mehr als eine umweltfreundliche Batterie.

Was wir Menschen als unsere Realität wahrnehmen, ist nicht mehr als die Interpretation unseres Gehirns dieser. Wir sehen die Sonne, aber nicht die UV-Strahlung. Wir können erkranken, doch mit freiem Auge sind die Viren nicht zu vernehmen. Neo wird klar, dass die Matrix eine Lüge ist, eine Welt geformt durch die Filter und Interpretationen der Maschinen – „Schmeckt das Steak, dass ich esse wirklich nach Steak?“. Erst als Neo sich der Natur seiner Existenz bewusst wird, kann er sich den Fesseln des menschlichen entledigen und wird zu etwas gottgleichen. Abermals ist es ein „Werkzeug“, das sich gegen seine Nutzer auflehnt. Und doch bleibt am Ende die Frage: Gibt es in einer vollends virtualisierten Welt noch so etwas wie einen realen Raum? Ist Neo am Ende vielleicht Teil der Illusion und das kritische Hinterfragen seiner selbst, Teil seiner Programmierung? Wenn dem so ist, dann ist am Ende nicht einmal der Zweifler real und Decartes‘ These obsolet.

Ursprünge

Wo nahm der Cyberpunk seinen literarischen Anfang? Nun, diese Frage ist schwieriger zu beantworten, als ich vor meinen Recherchen dachte. Bereits in den 60ern legte Autor Philip K. Dick mit seinem Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? (die Vorlage für Blade Runner) erste Grundsteine dafür was später als Cyberpunk bekannt werden sollte. Der Begriff Cyberpunk fiel zum ersten Mal 1980 als Titel einer Kurzgeschichte von Bruce Bethke. Als absolut wegweisend für das Genre gilt die Neuromancer-Trilogie von William Gibson. Sie prägte den Begriff Cyberspace und beschäftigte sich intensiv mit künstlichem Bewusstsein. Doch Neuromancer ist auch für den geneigten Fan des Genres eine Herausforderung. Obwohl prägend und revolutionär, ist das Werk Gibsons – meiner Meinung nach – sehr schwer zu lesen, da sich die Erzählung gewaltig in die Länge zieht.

Was mich fasziniert

Wie der Leser des Artikels vielleicht gemerkt hat, sind es die philosophischen Aspekte des Cyberpunks, die mich am meisten fesseln. Was ist der Mensch? Hat künstliche Intelligenz das Recht auf Leben und Selbstbestimmung? Ist der menschliche Geist mehr als nur die Summe unserer Neuronen? Fragen die wir in unserer Gegenwart nicht beantworten können, aber vielleicht in unserer Zukunft. Denn, ich persönlich halte den Cyberpunk für das „wahrscheinlichste Szenario“, welche uns die Science Fiction für die Zukunft prophezeit. Jetzt nicht in der Form, dass wir morgen schon mit künstlichen Intelligenzen um die Vorherrschaft über den Planeten kämpfen, oder wir demnächst mit fliegenden Autos durch Wien cruisen, nein, aber anhand der weiter oben bestimmten Parameter sind in kleinerer Form gewisse Vorzeichen erkennbar.

Zum Beispiel nimmt die Philosophie des Transhumanismus, vielleicht eher unbewusst als beabsichtigt, einen immer größer werdenden Raum in unseren Leben ein. Wir wollen mit Hilfe von Technologie weg von dem, was wir sind, näher hin zu der Vorstellung die wir von uns haben. Ich zum Bespiel wurde aufgrund eines Schlaganfalles bei meiner Geburt mit einer Hirnverletzung geboren, die dazu führte, dass ich über ein verzerrtes Gangbild verfüge und leider auch gelegentlich mit recht schmerzhaften Krämpfen zu kämpfen habe. Es gibt bereits Forschungen in denen Mikrochips beschädigte Hirnfunktionen von Schlaganfallpatienten übernehmen sollen. Zugegeben diese steckt noch tief in den Kinderschuhen und ich werde die Früchte jener Forschung auf lange Sicht vermutlich nicht mehr nutzen können, aber es ist schon ein erster Weg hin zum verbesserten Menschen. Aber ist es dann unrealistisch anzunehmen, dass die Erkenntnisse aus einem solchen Projekt nicht nur Menschen mit Handicap das Leben erleichtern, sondern vielleicht auch gesunde Menschen verbessern soll? Dass es Konzerne geben wird, die daraus Kapital schlagen werden und es Menschen geben wird, die auf der Strecke bleiben?

Ich weiß es nicht, die Zukunft bleibt spannend und egal ob dort Mister Spock oder Adam Jensen auf mich warten, ich freue mich darauf.

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