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Life is Strange 2 im Test + Interview mit den Machern

Life is Strange – das Leben ist seltsam. Das mussten bis jetzt schon mehrere Charaktere der gleichnamigen Serie feststellen. Nach der zeitmanipulierenden Max und der rebellischen Cloe trifft es dabei diesmal die beiden Brüder Sean und Daniel. Auf die Plätze, fertig, mitleiden …

Hier geht’s nicht mit rechten Dingen zu

Wer die vorigen Serienteile gespielt hat, der weiß, dass es im Life is Strange-Universum nicht immer ganz natürlich hergeht: Zeitmanipulation, alternative Realitäten – das alles hatten wir schon. Diesmal geht es indessen um Telekinese, und einmal mehr wirft die Fähigkeit das Leben zweier Jugendlicher aus der Bahn.

Die Story beginnt mit dem mehr oder minder idyllischen Leben von Sean und Daniel, die gemeinsam mit ihrem fast-zu-cool-um-wahr-zu-sein Vater in einem kleinen Ort in Seattle leben. Es ist Halloween, Sean ist verliebt, seine beste Freundin spielt Wing-Man, um ihm ein Date auf der anstehenden Party zu sichern, und seine größte Sorge sind die Quälgeistmomente seines kleinen Bruders. Bis alles schiefläuft. Ein Missverständnis später ist nichts mehr, wie es war, und Sean und Daniel sehen sich gezwungen, von Zuhause zu flüchten – in den Wald, ohne wirkliches Ziel, auf sich allein gestellt auf dem Weg ins Nirgendwo. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, scheint Daniel Fähigkeiten zu haben, die ein gewöhnlicher Neunjähriger nicht haben sollte …

Gemeinsam gegen die Welt

Wie in den beiden vorigen Serienteilen besteht die Hauptaufgabe in Life is Strange 2 wiederum darin, eure Umgebung zu erkunden, Hinweise zu sammeln, diese dann in Gesprächen und Interaktionen mit eurer Umwelt zu nutzen, sowie Entscheidungen zu treffen, die den gesamten Story-Verlauf verändern können. Diesmal übernehmt ihr hierfür die Steuerung des älteren Bruders Sean, der nach den tragischen Ereignissen Zuhause über Nacht erwachsen werden und mit Situationen umgehen muss, die selbst tatsächliche Erwachsene überfordern würden – die Verantwortung über seinen kleinen Bruder inklusive.

Wie die ersten beiden LIS-Teile dreht sich dabei alles in erster Linie um zwischenmenschliche Beziehungen, was nun auch in Sachen Gameplay in den Vordergrund gestellt wird: Während ihr in den Vorgängern zwar mit Cloe bzw. Rachel reden und interagieren konntet, gibt es nun auch stetig Optionen, Daniel Dinge zu zeigen, mit ihm über Gesehenes zu reden, mit ihm zu spielen, ihn zu ermahnen, ihn um Dinge zu bitten oder ihm zu helfen – etwa, wenn es darum geht, über einen Baumstamm zu klettern. Was davon ihr tut und lasst, bestimmt, wie eure weitere Beziehung zueinander verläuft und wie Daniel geprägt wird, was wiederum beeinflusst, wie er auf zukünftige Situationen reagiert. Doch nicht nur eure direkten Interaktionen mit Daniel bestimmen sein Verhalten, auch was für ein Vorbild ihr ihm liefert; sieht er euch etwas stehlen, wird er später dazu verleitet sein, selbst Dinge mitgehen zu lassen.

Weniger Action, mehr Abwechslung

Wer sich an den Beginn des ersten Life is Strange erinnert, weiß, dass Episode 1 der ersten Staffel vor allem von zwei Dingen geprägt war: Action-Momenten und vielen Wiederholungen – wenig überraschend, ging es doch um einen Charakter, der die Zeit zurückdrehen konnte. Doch nicht nur dieses Feature machte das Erlebnis ein wenig repetitiv – immer durch die gleichen Hallen des gleichen Campus zu laufen, verstärkte das Ganze nur. Life is Strange 2 startet gemächlicher, sorgt auf der anderen Seite aber auch dafür, dass euch in den Umgebungen garantiert nicht langweilig wird: Von Sean und Daniels Haus über einen Wald und eine Tankstelle bis hin zu einem Motel führt euch das Abenteuer bereits in der ersten, knapp 3-stündigen Episode.

Die Story fokussiert sich in diesem Teil des Spiels dabei vor allem auf den Aufbau der Beziehung eurer beide Hauptcharaktere, bietet allerdings dennoch reichlich spannende Momente und – wie könnte es anders sein – auch so machen Augenblick, der durchaus auf die Tränendrüsen drückt. Der einzige wirkliche Kritikpunkt, den ich zur bisherigen Geschichte äußern möchte, ist, dass einige der Dialoge, vor allem zu Beginn von Roads, genau nach dem klingen, was sie sind: Zeilen, die Teenagern von Erwachsenen in den Mund gelegt wurden. Oder kennt ihr einen Teen, der sich tatsächlich laut fragt, ob „alte Leute auch cool sein können“? Eben …

Fan-Service und Mitsing-Momente

Kein Life is Strange wäre komplett ohne seinen tollen Soundtrack. Wie bereits in Teil 1 und Before the Storm werden die einzelnen Szenen auch diesmal wieder atmosphärisch perfekt von den ausgewählten Melodien untermalt. In Sachen Grafikstil verlässt man sich einmal mehr auf die bewährte Mischung aus detailreichen Charakteren in Gemälde-ähnlichen Umgebungen und punktet damit wie auch schon in den Vorgängern.

Apropos Vorgänger: Serienneulinge müssen sich keine Sorgen machen, die Handlung nicht zu verstehen – Sean und Daniels Abenteuer kann auch ohne jegliches Vorwissen gespielt und genossen werden. Wer jedoch bereits Serienveteran ist, der darf sich auch auf viele kleinere Anspielungen freuen. Stichwort: Hawt Dawg Man.

FAZIT Episode 1: Roads

Life is Strange 2 – Episode 1: Roads schließt sowohl in Sachen Atmosphäre wie auch Gameplay direkt an seine Vorgänger an, bringt dabei aber auch frischen Wind in die Reihe – vor allem durch die nun noch deutlicheren Interaktionsmöglichkeiten mit Daniel. Die Story selbst mag langsamer starten als in den ersten beiden Teilen, wirkt dafür aber von Anfang an abwechslungsreicher. Persönlich hat mir die Episode sehr gut gefallen – von der anfänglichen Familienidylle hin zur Katastrophe und der daraus resultierenden Beziehung der beiden Brüder, die von Sean getragen werden muss. Zeit für mehr Action ist dann immer noch reichlich in Episode 2 bis 5. Von dieser Redakteurin gibt es deshalb eine eindeutige Kaufempfehlung!

FAZIT Episode 2: Rules

Episode 2: Rules setzt ein paar Wochen nach dem Ende von Roads an: Nach den Geschehnissen des letzten Eintrags haben die beiden Brüder nun damit begonnen, Daniels Kräfte gezielt zu trainieren und erste Regeln aufzustellen, um diese vor der Welt geheim zu halten und Daniel somit zu schützen. Die Reise beginnt dabei in einem verlassenen Ferienhaus im verschneiten Wald und führt das Paar schließlich zu ihren Großeltern, die – genau wie die Brüder selbst – immer noch mit der Tatsache zu kämpfen haben, dass sich ihre Tochter einfach aus dem Staub gemacht hat. Was folgt sind serientypische Momente voller Emotion, die sich diesmal in erster Linie um das Thema Familie und Zusammenhalt innerhalb von Familien drehen. Dabei erfahren wir sowohl mehr über Daniels und Seans Mutter sowie deren Eltern wie auch über den bereits aus der Demo The Awesome Adventures of Captain Spirit bekannten Chris und seinen Vater. Wer die Demo gespielt hat, kann hierbei übrigens auch seine Daten einlesen lassen, um direkt an die Ereignisse dort anzuschließen. Das Tempo von Rules scheint sogar noch etwas gemächlicher als jenes von Episode 1, führt uns aber einmal mehr durch eine Vielzahl an Emotionen und tiefgreifende Themen und fasziniert somit auch ohne große Action-Momente.

FAZIT Episode 3: Wastelands

Am Beginn von Episode 3: Wastelands ist wiederum einige Zeit nach Episode 2 vergangen. Sean und Daniel haben sich gemeinsam mit Cassidy, Finn und anderen freiheitsliebenden Jugendlichen in einem Zeltlager im Wald angesiedelt und versuchen, mit der Arbeit auf einer Weed-Farm ein wenig Kohle zu verdienen, um ihre weitere Reise nach Puerto Lobos zu finanzieren. Das Problem an der Sache: Der Leiter der nicht so ganz legalen Farm behandelt seine Arbeiter wie Dreck, und schnell kommt es zu Auseinandersetzungen mit verheerenden Folgen. Immerhin scheinen sowohl Daniel wie auch Sean endlich wieder so etwas wie Freundschaften zu schließen – selbst wenn ihre eigene Beziehung dadurch auf die Probe gestellt wird. Nicht zuletzt auch durch Daniels wachsende Fähigkeiten ….
Episode 3: Wastelands besinnt sich einmal mehr vor allem auf zwischenmenschliche Beziehungen und stellt diesmal das Schicksal der jugendlichen Camperbande in den Mittelpunkt der Handlung. In Gesprächen und mehr erfährt man, was jeden einzelnen der Weed-Ernter dazu gebracht hat, sich der Partie anzuschließen, und sieht, wie unterschiedlich ein jeder von ihnen mit seinen Problemen umgeht. Episode 3: Wastelands wirkt beinahe wie ein spielbares Stillleben, das die scheinbare Idylle im Wald-Camp den teils sehr schwierigen Vergangenheiten seiner Bewohner gegenüberstellt. Seans Kampf mit sich selbst ist ebenfalls wunderbar in Szene gesetzt: Einerseits möchte er seinen Bruder beschützen, andererseits auch einfach mal wieder Teenager sein, Freundschaften schließen, flirten und – die richtigen Entscheidungen im Spiel vorausgesetzt – vielleicht sogar etwas mehr als nur das tun. Daniel wirkt in Wastelands hingegen zum ersten Mal nicht mehr nur wie ein trotziges Kind, sondern lässt auch eine ganz andere, bewusst gefährliche Seite durchblicken, was die Spannung zwischen ihm und Sean gekonnt steigert. Episode 3: Wastelands mag somit einmal mehr bloß ein bis zwei richtige Action-Szenen liefern und fällt auch allgemein recht kurz aus, berührt aber mit seine schön gearbeiteten Charakteren und dem tollen Writing in den Dialogen. Von uns gibt es deshalb wiederum ein Daumen hoch.

FAZIT Episode 4: Faith

Nach dem verheerenden Ende von Episode 3, startet Episode 4: Faith zunächst einmal sehr ruhig: Zwei Monate sind seit der Explosion auf der Farm vergangen und Sean hat den Großteil der Zeit im Koma verbracht. Doch nicht nur das: Er hat während des misslungenen Einbruchs ein Auge verloren und muss nun lernen, mit seinem neuen Handicap zurechtzukommen. Seltsamerweise ist das aber nicht mal sein größtes Problem: Daniel ist seit der schicksalsschweren Nacht auf der Farm verschwunden und die Cops sind drum und dran, Sean vom Krankenhaus ins Jugendgefängnis zu verfrachten. Die Lage scheint aussichtslos – bis Sean dann doch noch einen Hinweis auf Daniels Aufenthaltsort findet: Wie es scheint, hat ihn Zeltlager-Freund Jacob mitgenommen, geradewegs nach Nevada, wo der Junge nun bei einer Gruppe religiöser Fanatiker lebt. Vom Regen in die Traufe …
Life is Strange 2 präsentierte sich von Anfang an weit gemächlicher als seine beiden Vorgänger und Episode 4 setzt diesen Trend fort. Tatsächlich wirkt die rund dreistündige Episode stellenweise sogar schon etwas zu ruhig, und auch das Writing ist in Faith nicht ganz auf der Höhe der vorigen Episoden. Nichtsdestotrotz versetzt uns auch der vierte Teil der zweiten Life is Strange-Staffel in wundervoll emotionale Situationen, mit denen man so richtig mitfühlen kann, und übt auf aufrüttelnde Weise Kritik an sehr realen Missständen. Auch wenn Episode 4: Faith somit zum Großteil aus Dialogen und Zuseh-Sequenzen besteht und die Action-Sequenzen sich diesmal schon zu sehr in Grenzen halten, bietet sie genug Feeling, um bis zum Schluss bei der Stange zu halten und macht auf jeden Fall Lust auf das große Finale, das uns Ende des Jahres erwartet.

FAZIT Episode 5: Wolves

In der fünften und damit letzten Episode von Life is Strange 2 verschlägt es die beiden Brüder Sean und Daniel letztendlich auf den finalen Abschnitt ihrer Reise nach Puerto Lobos – über Umwege in Away, einer Kommune von Freigeistern, die abseits der Gesellschaft als Selbstversorger und Künstler in der Wüste von Arizona leben – und zu denen auch die Mutter der beiden gehört.

In Sachen Action und Storytelling fällt auch Wolves in die Schiene der gesamten Staffel und reduziert die tatsächlich angespannten Momente auf ein Minimum. Stattdessen dürfen wir einmal mehr tiefere Einblicke in das Leben von Außenseitern werfen und so interessante neue Perspektiven erleben – unter anderem auch jene von alten Bekannten: Wer auch Staffel 1 bereits gespielt hat, der darf sich in Away nämlich auch auf ein Wiedersehen mit einem etwas älteren David, Chloes Stiefvater, freuen.

Life is Strange als Serie, und insbesondere Life is Strange 2, nehmen sich aber bekanntlich auch kein Blatt vor den Mund, wenn es um bekannte kontroverse Themen geht, und auch das große Finale der zweiten Staffel legt hier wieder ordentlich auf: Von den bereits angesprochenen Aussteigern aus der Gesellschaft geht es gegen Ende hin schnurstracks in Richtung hochaktueller Probleme, insbesondere der Flüchtlingsproblematik samt Polizeireaktionen in den USA. Das alles wird hier am Beispiel der Mauer zwischen Mexiko und den USA samt selbsternannten White-Supremacist-Hütern der „amerikanischen“ Werte und den tragischen Umständen, die Mexikaner dennoch immer wieder dazu bringen, einen verzweifelten Einreiseversuch in die USA zu unternehmen, gezeigt.

Episode 5: Wolves setzt dabei klare pro-moralische Statements und macht deutlich, dass Gesetz und Moral bzw. Gerechtigkeit offensichtlich nicht immer Hand in Hand gehen – das Gesetz, trotz gutem Willen, mitunter sogar unmoralisches Handeln seiner Vertreter erzwingt. Tatsächlich ist es so, dass das beste Ende im Spiel – ein richtiges Happy End für sowohl Sean wie auch Daniel – nur dann erreicht werden kann, wenn man alle Episoden hindurch durchwegs moralisch gehandelt und Daniel so zu sozialem Verhalten erzogen hat, sich aber letzten Endes doch gegen die unfaire Behandlung aus Richtung Gesetz stellt. Ein interessanter Ansatz, der inmitten all der anderen Themen einmal mehr zum Denken anregt.

Als Serienfinale hat Life is Strange 2 Episode 5: Wolves für mich durchaus funktioniert, wenngleich der emotionale Impact nicht ganz so stark war wie bei der ersten Staffel. Grund dafür ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass man diesmal mehr beobachtet, als aktiv einzugreifen, und somit das Gefühl, dass man die Handlung sowie das Schicksal der Charaktere tatsächlich beeinflusst, wesentlich subtiler ausfällt. Generell war der Ton dieser Staffel weitaus ruhiger und sogar noch introvertierter als die Story von Max und Chloe – gefallen hat sie mir dennoch sehr gut, und auch mit meinem erzielten Ende (insgesamt gibt es sieben) war ich äußerst zufrieden. Life is Strange 2 versucht eben nicht bloß ein Abklatsch seines Vorgängers zu sein, sondern sein eigenes Ding durchzuziehen, und tut dies auf sehr erfolgreiche Weise mit weniger Action und dafür noch mehr Gesellschaftskritik. Ich freue mich schon jetzt auf die – hoffentlich folgende – Ankündigung von Staffel 3!

Bonus zu Episode 4: Interview mit Michel Koch und Jean-Luc Cano

Das erste Life is Strange war dank unserer Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren, eindeutig sehr Action-orientiert. Life is Strange 2 scheint mir dazu im Vergleich mehr introvertiert. Es ist ruhiger und fokussiert sich mehr auf die Charaktere und ihre Gefühlswelt, wie beispielsweise in der letzten Episode [3], wo sich alles sehr um die Gruppe im Camp drehte und wir viel Zeit damit verbracht haben, einfach nur mit ihnen zu sprechen und sie kennenzulernen. Sehen Sie das genauso?

MK: Das ist spannend. Ich hätte den ersten Teil nicht unbedingt als Action-orientiert beschrieben.

Mehr als der zweite zumindest.

MK: Ah, ja, weil man die Zeit zurückspulen kann.

JL: Ah, ja, ich verstehe. Was wir mit Life is Strange 2 tun wollten, war uns auf das Thema Bildung und Erziehung zu fokussieren. Im ersten Life is Strange hatte Max die Gabe, die Zeit zurückzudrehen und all ihre Aktionen und Entscheidungen hatten sofort Auswirkungen. Als Spieler konnte man sofort sehen, was die Konsequenzen waren. In Life is Strange 2, mit seinem neuen Thema, dachten wir, es wäre toll, die übernatürliche Gabe nicht dem Spielcharakter, sondern Daniel zu geben, um zu sehen, wie er sich aufgrund der eigenen Entscheidungen entwickeln würde. Daniel macht somit also eine richtige Entwicklung durch während der fünf Episoden, die maßgeblich von allem abhängt, was man als Spieler tut. Insofern ja, ich denke, es gibt diesmal weniger Action, weil Aktionen keine sofort sichtbaren Konsequenzen haben, während aber dennoch alles, was man tut, jeder Dialog, jede kleine Handlung, Einfluss auf Daniel hat. Genau darum geht es in Life is Strange 2.

MK: Und ja, ich denke Sie haben recht, was die Nebencharaktere anbelangt. Wir wollten dem Spieler diesmal [in Episode 3] die Möglichkeit geben, herauszufinden, wer diese wirklich sind – wer Cassidy, Finn, Penny, Hannah und all die anderen sind –, und wollten die Geschichte diesmal auch rund um diese Charaktere aufbauen, anstatt sie zu einem Teil eines episodenübergreifenden Mysteriums oder dergleichen zu machen. Es geht dabei mehr darum, einfach das Leben in all seinen Facetten zu zeigen, mehr über die anderen zu erfahren und ihren Lebensstil zu verstehen, und vielleicht auch darum, Menschen zu zeigen, wie man sie im richtigen Leben nicht allzu oft sieht. Und dann hat Life is Strange 2 natürlich auch noch eine gewisse Roadtrip-Struktur, in der man Leute kennenlernt und dann auch wieder zurücklassen muss. In diesem Teil geht es also mehr darum, die Welt zu erkunden und alle möglichen Leute, wie sie in Amerika leben, kennenzulernen, weshalb die Story auch episodischer wirkt als im ersten Teil.

Jede Episode hat einen eigenen stichwortartigen Titel, der in Zusammenhang mit der Handlung steht. Wie entstehen diese Episoden? Legen Sie zuerst das Thema bzw. den Titel fest und bauen dieses dann aus oder wie läuft das normalerweise ab?

MK: Sehr gute Frage. Normalerweise, wenn wir mit einer Episode beginnen, stellen wir sie uns als Reise vor: Wir arbeiten vom Anfang bis zum Ende, wissen aber die ganze Zeit über, wo es hingehen soll. Der Titel kommt dabei, wann immer er kommt, meistens ist das aber schon recht früh im Entwicklungsprozess. Jede Episode dreht sich um Sean und darum, wie er sich fühlt; die Titel repräsentieren das in gewisser Weise.

JLC: *zu Michel* Und du hast noch einen weiteren Plan, dem du folgst, nicht wahr? Der buddhistische Pfad …

MK: Ah, ja. Als ich den Pfad von Sean schrieb, habe ich mich auf den buddhistischen „Pfad, ein Mann zu werden“ berufen, der drei Schritte vorsieht: seine Eltern töten, seinen Gott töten und letztendlich seinen Mentor töten. Der Mord an den Eltern steht dabei für die Rebellion gegen Regeln anderer Individuen, der Mord an Gott steht für den Bruch mit gesellschaftlichen Regeln und Tabus, und der Mord am Mentor sorgt dafür, dass man ein eigenständiger Mensch wird. Im ersten Kapitel stirbt Seans Vater und leitet diesen Weg ein, der in den folgenden Episoden dann weitergeführt wird. Deshalb heißt Episode 4 beispielsweise auch Faith (Glauben). Diese Dinge treffen aber nicht nur auf Sean zu, sondern in gleicher Weise auch auf Daniel.

Life is Strange hatte bislang drei Teile; zwei davon hatten übernatürliche Elemente, einer nicht. Sehen Sie Übernatürliches als etwas, das zu Life is Strange unbedingt dazu gehört?

JCL: Wie Sie wissen, waren wir beiden in die Entwicklung von Before the Storm nicht involviert, also ja, für uns gehört Übernatürliches auf jeden Fall zu Life is Strange. Die Kernidee ist dabei, Geschichten von Charakteren zu erzählen, in die man sich hineinversetzen kann, und die sich realen Problemen gegenübersehen, der Story aber dennoch einen übernatürlichen Twist zu geben, um den Konflikt auf ein neues Level zu hieven. Im ersten Life is Strange konnte Max so beispielsweise die Zeit zurückdrehen und wir haben dieses Element genutzt, um ihre Schwächen zu betonen, die darin lagen, loszulassen und vorwärts zu gehen bzw. Entscheidungen zu treffen. Ihre Fähigkeit hat diese Probleme noch verschärft. In Life is Strange 2 ist unser Hauptthema Erziehung, also haben wir Sean die Verantwortung über ein kleines Kind gegeben, die Aufgabe, ihm beizubringen, was richtig und falsch ist, das Ganze aber noch erschwert, in dem wir diesem Kind übernatürliche Fähigkeiten verpasst haben – denn klarerweise hat sein Verhalten somit noch weit größere Bedeutung und potenziell auch fatalere Auswirkungen. Was wir also wirklich bezwecken ist, diese übernatürlichen Elemente zu nutzen, um die Story in gewisser Maßen zu unterstreichen und den Spieler vor sogar noch härtere Entscheidungen zu stellen.

Im Spiel werden die beiden Brüder und ihre Familie oft als Wölfe dargestellt. Woher kam diese Idee?

MK: Ah, diese Idee war schon ganz am Anfang da, beim Brainstorming mit Raoul, dem anderen Creative Director von Life is Strange 2. Im Spiel muss Sean Daniel immer wieder beruhigen, aber da er nicht die Art von Bruder ist, die schwierige Themen einfach anspricht, haben wir uns diese Metapher überlegt. Auf diese Weise kann Sean über schwierige Dinge regen, ohne sie direkt auf sich und Daniel zu beziehen. Daniel mag leicht wütend werden und dann auch gefährlich sein, aber es ist trotzdem nur ein Kind, das Geschichten mag und auch braucht.

JLC: Außerdem fanden wir, dass die Symbolik hinter Wölfen wunderbar zum Spiel passt. Ein Wolfsrudel hält immer zusammen, Familie is sehr wichtig, und auch, wenn das Rudel klein ist, kämpfen sie füreinander. In Frankreich haben wir zudem diese Phrase „petit loup“ – kleiner Wolf. Man sagt das zu kleinen Kindern und es ist wirklich nett und süß. Beim Schreiben dachten wir daran, wie Sean Daniel so nennen könnte, aber auch an die Metapher und die Symbolik.

Life is Strange befasst sich teilweise mit sehr problematischen Themen, wie Drogensucht oder sexueller Missbrauch. Gab es während der Entwicklung jemals einen Punkt, an dem Sie sich dachten: „Wir würden das wirklich gerne zeigen, aber wir sind nicht sicher, ob wir das auch können“?

MK: Wir haben uns diese Frage in Bezug auf viele Themen im Spiel gestellt, weil wir wissen, dass viele davon sehr kontrovers sein können. Was wir in jedem Fall tun müssen, ist sicherzugehen, dass wir reale Themen mit viel Sorgfalt behandeln und gut recherchieren, da wir natürlich niemanden verletzten oder respektlos sein wollen. Aber Sie haben recht, wir legen viel Wert darauf, in unseren Spielen nicht nur zu unterhalten, sondern auch tiefere Bedeutung in die Geschichte zu bringen und Themen anzusprechen, über die vielleicht nicht oft genug gesprochen wird.

Life is Strange 2 wird noch zwei weitere Episoden bekommen, inklusive jener, die am kommenden Mittwoch erscheint [Anmerkung: Das Interview fand vor Release statt.] Was ist diesmal für die Enden geplant – ich nehme an, es wird wieder mehrere geben?

JLC: Vielleicht! *lacht*

Vielleicht! Im ersten Teil gab es zwei Hauptenden, wobei das kürzlich erschienene Comic auf einem davon aufbaut. In Ihrer Vorstellung, wenn Sie diese Stories schreiben, gibt es ein richtiges Ende und alternative Enden?

JLC: Wir haben am Comic nicht mitgearbeitet, aber für uns gibt es kein Kanon-Ending, nicht in Life is Strange und auch nicht in Life is Strange 2. Wir möchten, dass wirklich alles von der Wahl der Spieler abhängt. Wir wollen nicht ein Ende als gutes Ende festlegen, diese Entscheidungen als gut und diese als schlecht – alles hängt davon ab, wie sich die Spieler fühlen und wenn sie mit ihren Entscheidungen zufrieden sind, dann ist das für uns perfekt. Wenn wir nämlich ein Kanon-Ende wählen müssen, dann müssen wir auch Kanon-Entscheidungen festlegen, und das wird nie passieren, weil wir dem Spieler keine Lektion erteilen wollen, sondern nur neue Erlebnisse für ihn schaffen.

MK: Ich denke auch, dass genau diese „Erlebe dein eigenes Abenteuer“-Struktur das Spiel ausmacht, insofern wäre es meiner Meinung nach ein Fehler, ein Ende als wahres Ende festzulegen. Wir schreiben die Stories mit dem Gedanken, dass jedes Ende Kanon sein kann und alles nur davon abhängt, wie sich der Spieler entscheidet, und wir achten auch darauf, wirklich alle Pfade zu beachten und auszubauen, anstatt zu sagen: „Das ist die Story, die wir im Sinn haben, und jetzt bauen wir noch ein paar Abzweigungen ein.“

Ihnen sind sicher Spiele wie Detroit: Become Human bekannt, in denen Spieler jeden Storypfad, den sie nicht genommen haben, in einem Baum sehen, und auch zurückgehen können, um andere Pfade zu erkunden. Könnten Sie sich so etwas auch für Life is Strange vorstellen?

JLC: Ja, ich kenne diese Spiele, und wir haben mit der Zusammenfassung am Ende jeder Episode ja etwas ähnliches gemacht. Dort kann man jede Entscheidung sehen und erfährt auch, welche anderen Ausgänge möglich gewesen wären. In Life is Strange 2 haben wir zudem eine eigene Zusammenfassung für Daniel, in der man sieht, wofür er sich entschieden hat, auch wenn man darauf keinen direkten Einfluss hatte. Wir finden, dass das Spielerlebnis so natürlich wird – wenn der Spieler die Story einfach erleben kann, ohne zu viel über alle möglichen Pfade zu wissen.

MK: Außerdem wäre das noch die Tatsache, dass man beispielsweise in Detroit zumeist vor binäre Entscheidungen gestellt wird. In Life is Strange zwei hängen Daniels Reaktionen oft von 3, 4 oder sogar 5 kleinen Handlungen Seans ab, und diese Komplexität wäre in einem Pfadbaum sehr schwer darzustellen.

Letzte Frage: Was sind Ihre liebsten Szenen im Spiel?

JCL: Da wir natürlich noch nichts über Episode 4 und 5 verraten können, beschränken wir uns mal auf die ersten drei Episoden.

MK: Ich glaube, für mich ist es der Beginn der ersten Episode. Das Ende des ersten Aktes, mit dem Tod von Esteban, funktioniert perfekt. Ich habe es wirklich genossen, diesen Part zu schreiben und darin Regie zu führen. Ich denke, er ist so großartige, weil man in kurzer Zeit wirklich alles über Sean erfährt, seine Freunde, seine Pläne, seine Beziehung zu seinem Vater und Bruder – und dann wird sein ganzes Leben durch den Twist mit dem Schusswechsel auf den Kopf gestellt. Ich liebe diese Szene einfach.

Sehr emotional.

MK: Ganz genau. Ich denke, wir haben hier wirklich gute Arbeit geleistet.

JLC: Es fällt mir wirklich schwer, mich zu entscheiden, aber ich liebe die Szene in Episode 3, in der alle rund ums Lagerfeuer sitzen. Wir wollten in dieser Szene die Atmosphäre davon einfangen, einfach mit anderen Leuten zusammen zu sein, Smalltalk oder auch tiefgehende Gespräche zu führen, und das alles, während man draußen ist, rund um ein Lagerfeuer sitzt. Ich denke, jeder kennt das Gefühl, das ich meine.

Vielen Dank für das Interview!

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Was ist Life is Strange 2? Story-technisch unabhängige Fortsetzung der Reihe rund um zwischenmenschliche Beziehungen, die von euren Handlungen und Entscheidungen mitbestimmt wird
Plattformen: PS4, Xbox One, PC
Getestet: PS4-Version
Entwickler / Publisher: Dontnod / Square Enix
Release: 27. September 2018 bis 3. Dezember 2019
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