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Twin Mirror im Test

Knapp drei Monate ist es her, seit mich Dontnod mit dem neuesten Abenteuer Tell Me Why wieder total mit der eigenen Art des Storytellings in den Bann gezogen hat. Nun steht bereits das nächste Abenteuer auf dem Plan. Twin Mirror verspricht diesmal einen psychologischen Thriller – geprägt von einzigartigen Features und Gedankenspielen. Doch kann Storytelling in dieser „Massenproduktion“ funktionieren?

Dass ich absoluter Fan des gesamten Dontnod-Universums bin ist definitiv kein Geheimnis. Ob Life is Strange, oder das letzte Meisterwerk Tell Me Why die Dontnod-Geschichten haben immer einen besonderen Platz in meinem Videospiel-Herz gefunden. Umso mehr freute ich mich darauf, dass dieses Jahr mit Twin Mirror sogar noch ein zweites Abenteuer aus der französischen Feder erscheint. Bereits im Vorfeld durfte ich hierzu virtuell einer kleinen Preview beiwohnen, welche definitiv Lust auf mehr machte! Entgegen erster Ankündigungen erschien Twin Mirror auch nicht in Episoden, sondern direkt als ganzes Abenteuer!

In Twin Mirror erleben wir diesmal das Leben des 33-jährigen Sam Higgs. Bei diesem läuft es aktuell nämlich so gar nicht rund. Frisch von der Freundin verlassen und dann steht auch noch die Beerdigung des besten Freundes auf dem Plan. Für diese kehrt er in seine Heimatstadt Basswood in West Virginia zurück. Was lediglich ein beschaulicher Besuch werden sollte, endet in einem Absturz. Sam erwacht in einem Hotelzimmer, mit blutigen Händen, ohne jegliche Erinnerung.

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Willkommen im beschaulichen Basswood. Wirklich einladend sieht anders aus...

Die Detektivarbeit beginnt

Es liegt nun also an uns herauszufinden, was in jener Nacht eigentlich passiert ist. Denn Sam besitzt aufgrund seiner ehemaligen Tätigkeit als investigativer Journalist zwar erstmals als Charakter der Dontnod-Abenteuer keine übernatürliche Superkraft, dafür jedoch umso verschärftere logische Fähigkeiten. Dies hat ihm bei seiner damaligen Tätigkeit in Basswood jedoch nicht nur Freunde eingebracht – und das spüren wir an jeder Ecke und in jedem noch so kurzen Gespräch. Nein, hier ist uns keiner so wirklich freundlich gesinnt.

So führt uns das Spiel zu unterschiedlichsten Schauplätzen, welche erkundet werden wollen. Hier offenbarte sich jedoch bereits das erste Problem des Gameplays: bevor Sam an einem Ort seine logischen Fähigkeiten einsetzen kann, müssen alle Hinweise in einer komplett unersichtlichen, vom Spiel aber strikt vorgegebenen Abfolge gefunden werden. (Siehst du den absolut verdächtigen Hut dort drüben auf der Bank? Mit dem darfst du erst interagieren, wenn du davor die Infobroschüre ganz oben am Berg gelesen hast und dann ein 5 Cent Stück findest, ist doch klar!)

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Die Detektivarbeit klappt mehr schlecht als recht.

Rückzug in den eigenen Kopf

Haben wir jedoch einmal alle Hinweise – eher mühsam – zusammengetragen, kommt Sams unglaublich schlauer und mächtiger Kopf ins Spiel. Denn dann steht der Rückzug in den eigenen „Gedankenpalast“ an. Dieser ist das große Feature welches Twin Mirror mit sich bringt. In dieser kristallenen Version der Realität steht die Zeit still. Sam kann hier die eigenen Gedanken ordnen und die gesammelten Hinweise in der Umgebung kombinieren.

Die Passagen im Gedankenpalast schafften dabei viel mehr Spaß und Atmosphäre als die normale 0815-Erkundung. Hier fühlte ich mich wahrlich wie der nächste Sherlock-Holmes, inklusive nervenaufreibendem Soundtrack. Leider kamen die Spaziergänge im Gedankenpalast für mich im Abenteuer aber leider viel zu kurz. Sie hätten für meinen Geschmack deutlich präsenter sein dürfen, zeigten sie doch den ansonsten eher fehlenden Mut zu Neuem seitens der Entwickler!

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Das Zusammensetzen im Gedankenpalast ist ein ganz besonderes Feature.

Ein fehlender Reiz – wenn „ER“ nicht wäre…

So begabt Sam mit seinen logischen Fähigkeiten auch um sich schmeißt, desto unbeholfener ist er in vielen sozialen Situationen. Sind ihm die Bewohner von Basswood sowieso schon nicht wirklich wohlgesinnt, so hat er auch noch ein Talent dafür mit seinem Verhalten und seinen Kommentaren nochmal einen Schritt nach unten auf der Beliebtheitsskala zu machen. Doch Sams Fähigkeiten enden nicht bei seinen Gedanken, sondern bescheren ihm auch in solchen Momenten eine ganz besondere Art von… „Hilfe“.

Denn hier kommt endlich der namensgebende Zwilling, unser Double ins Spiel. „Er“ begleitet Sam dabei immer wieder wie ein imaginärer Schatten auf seiner Reise. Unser Double besitzt dabei jedoch viel mehr Einfühlungsvermögen als Sam selbst und kann andere Personen meist ganz gut einschätzen. Ob wir uns jedoch in brenzligen Situationen an die Ratschläge des Doubles halten oder nicht liegt ganz bei uns – so wirkt es jedenfalls zu Beginn. Umso öfter wir uns nämlich gegen das Double entscheiden, umso weniger ist er im weiteren Verlauf gewillt uns zu helfen, was phasenweise durchaus zum Problem werden kann.

So richtig ausgereift war jedoch leider die Implementierung des Doubles nicht wirklich – denn Dontnod fehlt hier leider der Mut so richtig Farbe zu bekennen. Woher kommt das Double, warum ist es da? Leidet Sam an einer psychischen Krankheit? Irgendwie ließ mich hier das Gefühl nicht los, dass mir wichtige Details fehlten, um zu Sam als Protagonist und seinem Schatten eine wirkliche Bindung aufzubauen.

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"Er" verleiht vielen Sequenzen Spannung - kann oft aber sehr bestimmend sein.

Mehr Film als Spiel – der interaktive Thriller

So versuchen wir also die düsteren Geheimnisse von Basswood in gekonnter Partnerarbeit zu entwirren und unsere eigenen Erinnerungen wiederzugewinnen. Atmosphärisch überzeugt die Geschichte dabei wieder auf ganzer Linie – doch viel zu selten kommen die typischen Dontnod-Cinematic-Momente auf, welche ich dann jedoch in vollen Zügen genoss. Was diesmal hingegen nicht so gut gelang, war der Spagat zwischen filmischer Inszenierung und interaktiven Elementen.

Denn Twin Mirror war leider vor allem eins: ZÄH. Dies führt unausweichlich dazu, dass die eigentlich sehr gute Geschichte nicht so wirklich an Fahrt aufnimmt. Manche Antworten in den Dialogen ließen länger auf sich warten und Sam genießt es geradezu manche Objekte, durchaus… langsam, aufzuheben. Gleichzeitig boten sich mir aber auf der anderen Seite auch nur knapp acht Stunden Spielzeit – und irgendwie stand auf einmal das Ende vor der Tür.

Solche Momente ließen mich oft daran zweifeln, ob meine anfängliche Freude darüber, keine Episoden in dem Spiel zu erhalten nicht fehl am Platz war. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass Dontnod einfach mehr Raum und vor allem mögliche Spielzeit braucht, um seine Geschichten wirklich gut zu erzählen. Denn so fehlte mir einfach das Herz der Geschichte: eine richtige Bindung zur Welt und den Charakteren.

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Zusammenfassung

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