Wenn es mit der Fernreise in wärmere Gefilde mal wieder nicht klappt, können die kalten Monate dazu dienen, sich in digitale Pixelwelten zu flüchten. Eindeutig lieber epische Fantasy-Welten als graue Straßen erforschen! Und mit etwas (mehr) Fantasie erzeugen LCD-Schein und Lüfter-Abluft vielleicht sogar die Illusion eines gemütlichen digitalen Lagerfeuers …
Keeper
Ich geh mit meiner Laterne …
Entwicklerstudio Double Fine Productions mag es gerne ungewöhnlich: Im Zentrum von Keeper steht ein Leuchtturm, der auf rätselhafte Weise zum Leben erwacht, sich auf spinnenartigen Beinen erhebt und auf eine Reise durch eine postapokalyptische und komplett verdrehte Welt begibt. Begleitet wird er dabei von einem riesigen Vogelwesen, das nicht nur als emotionaler Weggefährte dient, sondern auch gameplaytechnisch einige Aufgaben übernimmt. So weit, so Double Fine.
Im Fokus steht die Erkundung der Welt, ganze ohne die Notwendigkeit für Reaktionsschnelle oder andersartige Herausforderungen. Der wandelnde Leuchtturm bewegt sich langsam, aber beharrlich durch eine surreale Welt, die weder rein organisch noch mechanisch wirkt. Unser geflügelter Begleiter trägt seinen kleinen Teil bei, indem er Schalter aktiviert, Hinweise offenbart und Gegenstände apportiert. Wirkliche Rätsel gibt es allerdings nicht, die gestellten Aufgaben sind stets trivial.
Die Handlung bleibt bewusst wortlos. Statt mittels Dialoge werden Hintergrundgeschichte und Handlung durch Bewegungen, Mimik und Umgebung kommuniziert. So wird zum Beispiel schnell klar, dass die prachtvolle, wenn auch komplett andersartige Flora und Fauna von einer Art Fäulnis bedroht wird: Pflanzen welken, Strukturen verfallen und ganze Städte voller biologischer wie mechanischer Lebewesen verblassen und verfallen. Doch unser Leuchtturm entpuppt sich nicht nur als Erforscher, sondern auch Werkzeug des Wandels und der Heilung: Sein fokussierter Lichtstrahl besitzt die Fähigkeit die Fäulnis zurückzudrängen, Blockaden zu lösen und verfallenen Mechanismen neues Leben einzuhauchen.
Neblige Küsten, absurde Konstruktionen und fremdartige Pflanzen bilden eine Kulisse, die sich zwischen leichter Endzeit-Melancholie und märchenhaftem Neuanfang bewegt. Trotz des schlichten Gameplays entsteht ein Gefühl von Veränderung und Fortschritt und dem Zurückdrängen einer ernsthaften Gefahr für diese neue Welt.
Keeper ist ein ruhiges Abenteuer, ein Walking-Simulator, der Atmosphäre über alles stellt. Die Spielzeit bleibt übersichtlich, doch innerhalb dieser Kürze entfaltet das Spiel durchaus eine gewisse Tiefe. Wer Reisen durch surreale und ungewöhnliche Landschaften schätzt, wird sicher Gefallen finden.
PowerWash Simulator 2
Manche mögen es schmutzig
PowerWash Simulator 2 knüpft nahtlos an das fast schon meditative Gameplay seines Vorgängers an. Wieder steht eine kleine Reinigungsfirma im Mittelpunkt, deren Alltag sich um die Reinigung verschmutzter Häuserfronten, verdreckter Gegenstände & Fahrzeuge sowie verwahrloster Areale dreht. Der modulare Hochdruckreiniger bleibt das zentrale Werkzeug, doch Umfang und Komplexität der Aufträge haben deutlich zugelegt und wurde vor allem um einige interessante Großprojekte erweitert.
Gleiches gilt für das Reinigungs-Arsenal – neue Düsen, anpassbare Aufsätze und ein neuer Großflächen-Reiniger sorgen dafür, dass auch umfangreiche Aufgaben bewältigbar bleiben. Trotzdem werden sich viele Spielende mit der Zeit auf ein bis zwei Geräte-Kombinationen beschränken, die dem eigenen „Arbeitsstil“ am ehesten entsprechen.
Wie gewohnt kann man sich mit anderen im kooperativen Modus zusammenschließen. Gerade die großen Aufträge profitieren spürbar von mehreren gleichzeitig arbeitenden Hochdruckstrahlern, die den Dreck Polygon für Polygon zurückdrängen. Eine wichtige Hilfe ist dabei das verbesserte Highlighting-System, das verbliebene Schmutzstellen deutlich hervorhebt und so das Finden der letzten Problemstellen erleichtert. Der Kern des Spiels bleibt hingegen unberührt: Das monotone und trotzdem (oder gerade deswegen?) beinahe therapeutische Entfernen von Schmutz, Dreck und noch mehr Schmutz. Auch optisch bleibt PowerWash Simulator 2 seiner nüchternen Darstellung treu, wenn auch im Detail an vielen Stellen verbessert. Wichtig ist nicht spektakuläre Grafik, sondern eine (spätestens am Missionsende) saubere und abwechslungsreiche Jobwelt.
Auf für den ersten Teil lizensierte DLC-Sondermissionen wie Warhammer 40K, Tomb Raider oder Zurück in die Zukunft muss allerdings (derzeit) noch verzichten, mit Adventure Time ist aber das erste Paket bereits angekündigt und soll im Frühling 2026 erscheinen. Unterm Strich liefert PowerWash Simulator 2 eine gelungene Weiterentwicklung des bekannten Prinzips. Kein radikaler Neubeginn, sondern eine polierte, ausgebaute Version eines entspannten und entspannenden Spielkonzepts, das Schmutz zum Gegner und den Hochdruckreiniger zur Waffe macht.
PowerWash Simulator 2 auf Steam
Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2
Dünnblütige Fort(?)setzung
Bloodlines 2 tritt als – zumindest namentliche – Fortsetzung eines der ganz großen Rollenspiel-Blockbuster natürlich ein schweres Erbe an. Schon die Entwicklung verlief aber alles andere als geradlinig. Wechsel im verantwortlichen Studio und grundlegende Umbrüche und Neuausrichtungen prägten den Weg des Projekts und hinterließen Spuren im endgültigen Spiel.
Das spielerische Grundgerüst wäre atmosphärisch sogar dicht, die urbanen Nächte in einer eingeschrumpften Version von Downtown-Seattle bilden einen passenden Schauplatz für politische Intrigen, subtile Machtkämpfe und persönliche Geschichten im Verborgenen. Auch die Wahl des dualen Hauptprotagonisten ist gelungen. Ein uralter Vampir, durch langen Schlaf seiner Kräfte beraubt, bekommt durch die Wendungen der Hauptgeschichte einen geistigen Beifahrer in seinem Kopf verpasst – einen deutlich jüngerer Vampir, im Hauptberuf Kriminalbeamter. Diese unverhoffte Stimme im Kopf dient als Gesprächspartner, Führer durch die unbekannte Welt der Moderne und nimmt uns auch immer wieder auf kurze Ausflüge in ihre eigene Vergangenheit mit.
Durch die Mischung aus investigativen Passagen, politischen Verstrickungen und direkteren Konfrontationen entsteht ein facettenreiches, aber nicht immer kohärentes Erlebnis. Die Welt wirkt lebendig, die Figuren durchaus interessant, aber es fehlt einfach der durchgehende rote Faden. Mal präsentiert sich das Spiel als erzählerisch fokussierte Rollenspiel-Erfahrung mit tiefen Dialogstrukturen. Gleichzeitig gibt es allerdings *keine* Charakter-Entwicklung bis auf einige, meist nur wenig spielbeeinflussende neue Kampffähigkeiten. Auch auf ein Inventar, Waffen oder Ausrüstungsgegenstände wurde komplett verzichtet. Dafür rücken immer wieder lange Action-, Kampf- und Parkour-Passagen in den Fokus, die zwar ebenfalls solide gemacht sind, ja sogar Spaß machen können, aber auf Dauer abwechslungsarm und repetitiv wirken.
Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 ist durchaus ein Spiel voller Atmosphäre und Potenzial, das aber von seiner eigenen Orientierungslosigkeit zurückgehalten wird. Man merkt einfach, dass (zu)viele unterschiedliche Visionen im Rahmen der Entwicklung aufeinandertrafen. Das Ergebnis ist ein Titel, der viel versucht, aber nicht genau weiß, welchen Pfad er eigentlich einschlagen möchte und vor allem den Rollenspiel-Ansprüchen seines zurecht hochgehaltenen Vorgängers so überhaupt nicht gerecht wird.
Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2 auf Steam
The Roottrees are Dead
Dial-up-Ahnenforschung
The Roottrees are Dead dreht sich um genealogische Recherche – also Ahnen- oder Familienforschung – während der Anfänge des Internets. Der Beginn ist tragisch, aber eigentlich unspektakulär: Eine traditionsreiche Unternehmer-Familie, deren öffentliches Bild tadellos erscheint, verliert bei einem Flugzeugunglück ihre bekanntesten lebenden Mitglieder. Als Privatdetektiv mit Spezialisierung auf Ahnenforschung beauftragt uns eine anfangs unbekannte Auftraggeberin Lücken in der offiziellen Familienchronik zu untersuchen. Soweit, so normal, vermutlich geht es um Fragen des Erbes. Aber schnell offenbaren sich Widersprüche in alten Aufzeichnungen und wir entdecken unangenehme Ableger des Familienstammbaums, die man zu vertuschen sucht. Aus dem bloßen Ergänzen eines Stammbaums mittels Internet-Recherche wird so ein forderndes Ermittlungsabenteuer – ganz ohne unser Home-Office / Detektivbüro verlassen zu müssen.
Dieses ist optisch wie technisch ganz auf die späten Neunziger getrimmt. Eine Wand wird vom umfangreichen und anfangs sehr leeren Stammbaum des Familienklans eingenommen. Er fungiert als zentrale Spielfläche. Jedes Familienmitglied will mit Foto, Name und Beruf nach und nach ergänzt werden. Auf dem Schreibtisch steht für diesen Zweck ein – aus damaliger Sicht top-moderner – klobiger Computer mit funktionstechnisch sehr überschaubarem Betriebssystem. Hat das Dial-up-Modem seine Einwahlgeräusche gekrächzt und gezwitschert offenbaren sich aber zumindest die – damals noch sehr überschaubaren – Weiten des World Wide Webs. Wikipedia, Google & Co. waren noch nicht einmal eine Idee …
Unsere Aufgabe: Buch-Zusammenfassungen, Zeitungsartikel, digitalisierte Buchausschnitte, handschriftliche Randnotizen und Porträtfotos durchforsten, zuordnen und kombinieren. So entsteht Stück für Stück das Bild einer Familie, die sich über Generationen hinweg selbst zu inszenieren wusste, aber auch das eine oder andere schmutzige Familiengeheimnis hütet. Plötzliche oder spektakuläre Wendungen gibt es zwar wenige, aber das langsame Offenlegen von Zusammenhängen sorgt für eine ganz eigene Art von Spannung und sorgt für große Selbstzufriedenheit, wenn es dann endlich wieder „Klick“ macht und ein neuer Teil des Stammbaums vervollständigt werden kann.
Technisch präsentiert sich das Spiel durch die Bank minimalistisch, die Aufmerksamkeit soll aber auch den vorwiegend textlichen Inhalten gelten. The Roottrees are Dead ist ein intelligentes und oft durchaus forderndes Puzzlespiel über Identitäten und Generationen überdauernde Familiengeheimnisse, das auf Hektik verzichtet und stattdessen geduldiges Nachforschen belohnt.
















