Der wilde Genre-Mix in Quantum Witch entführt uns in eine bunte, pixelige Welt voller Möglichkeiten, die maßgeblich von den persönlichen Erfahrungen seiner Entwicklerin geprägt ist.
Ein Ringen um Freiheit
Quantum Witch ist einer jener Titel, dessen Betrachtung und auch Spielerlebnis ohne die zugrunde liegende Entwicklungsgeschichte nicht vollständig wäre. Denn viele Fragmente, welche uns als Spieler im fiktiven Fantasy-Reich Hos begegnen, haben ihren Ursprung in der Lebenswirklichkeit seiner Entwicklerin NikkiJay. Diese hat fast im Alleingang und mit selbst angeeigneten Programmierkenntnissen Quantum Witch realisiert. Ihre Beweggründe sind dabei überaus bewegend.
Nach ihren Angaben war die Entwicklerin als Kind mit ihrer Familie in einer fundamentalistischen Sekte verflochten, welche jeden Aspekt des Lebens ihrer Mitglieder vorgegeben habe. Neben vielen anderen Vorkommnissen schildert sie etwa, dass sie einen guten Freund verloren habe, da diesem durch die Gemeinschaft die ärztliche Versorgung vorenthalten worden sei. Da sich NikkiJay mit dem Erwachsenwerden zu Frauen hingezogen gefühlt hat, kam es letztes Endes zum kompletten Bruch mit der Sekte, aber auch mit ihrem gesamten Umfeld, was sie bis zur vorübergehenden Obdachlosigkeit geführt habe. Nachdem sich ihr Leben neu geordnet hatte und sie eine eigene Familie gründete, widmete sich NikkiJay dem, was ihr nach eigenen Aussagen während der schweren Jahre ein immer treuer Wegbegleiter gewesen ist: Videospiele. Von Trashman, Chrono Trigger bis zu den Klassikern von Nintendo bedeutete der Griff zum Gamepad für sie immer auch ein Ausbrechen aus den einengenden Strukturen und ein Stückchen Freiheit.
Willkommen in Hus
Nach einem kleinen Tutorial, das überaus charmant die grundlegende Bedienung erklärt, beginnt alles in Hus, wo wir die Schäferin Ren steuern. Hier werden wir direkt in die Welt geworfen und mit einem ersten Problem konfrontiert: die Schafe (hier mit dem Namen „faer“) sind ausgebrochen und müssen wieder eingefangen werden.
Dies ist ein cleverer Türöffner, da man über diese erste Aufgabe eine naheliegende Motivation erhält, die Umgebung zu erkunden und die anderen Charaktere kennenzulernen. Neben ihrer heldenhaften Partnerin Tyra lernt Ren viele interessante und überaus schräge Figuren kennen. Neben einem tanzenden Skelett mit hellseherischen Fähigkeiten und einer wirklich hünenhaften Kampftrainerin hat es sich die Entwicklerin auch nicht nehmen lassen, ikonische Helden aus ihren Lieblingsspielen auf sehr originelle Weise einzubauen.
Mit weiterem Spielfortschritt erlernt man neue Fähigkeiten, mit welchen weitere Gebiete begehbar werden. Auch die Geschichte nimmt zunehmend an Fahrt auf und hält für Ren noch manche teils dramatische Überraschung bereit. Unterstützt wurde NikkiJay dabei von den erfahrenen Autoren Paul Rose und Stephanie Sterling.
Folgt man der Handlung gibt es enorm viel zu lesen (Sprachausgabe ist in allen Versionen nicht verfügbar). NikkiJay und die übrigen Schreiben haben enormen Aufwand betrieben, jedem Charakter eine Hintergrundgeschichte zu geben, die sich manchmal auch erst im Laufe der Geschichte offenlegt. Daraus ergeben sich vielfach Entscheidungsmöglichkeiten, die mal zu großen, mal zu kleinen Veränderungen in der Handlung führen. Oft stolpert man auch mal auf eine Nebenquest, die komplett für sich steht und gar nichts mit der Haupthandlung zu tun hat. Die Kehrseite dabei ist, dass man die ausschließlich englischen Texte aufmerksam lesen muss. Übersetzungen in andere Sprachen sind aktuell nicht vorgesehen, könnten aber bei guten Verkäufen noch nachgereicht werden. Was die Dialoge der Figuren bei den mitunter ausschweifenden Gesprächen doch arg anstrengend macht, ist die Tatsache, dass man jede Textbox einzeln bestätigen muss, ehe eine neue erscheint. Dies artet zunehmend in Arbeit aus und nimmt auch den Fokus weg vom eigentlichen Textinhalt. Ein eigentlich kleiner Kritikpunkt, der aber dadurch besonders ins Gewicht fällt, weil sich der Titel auf mehrmaliges Durchspielen und das Entdecken weiterer alternativer Geschichtsverläufe fokussiert.
Zwischen den Welten
Spielmechanisch ist Quantum Witch ein wilder Mix aus Platformer und Adventure.
Es gibt einzelne Sprung- und Rätselpassagen sowie ein Inventarsystem mit einer überschaubaren Anzahl an Gegenständen. Der Fokus liegt dabei deutlich auf Exploration und der Interaktion mit den vielen Figuren. Hierdurch spinnt sich im Regelfall die Geschichte fort. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei äußerst zahm und steht einem flüssigen Durchspielen bei 3 bis 4 Stunden Spielzeit nicht im Wege. Selten gibt es Leerlauf, wo man sich als Spieler fragt, wie es nun weitergeht. Hier hat die Entwicklerin nach Release auch schon fleißig Patches nachgeliefert, die unter anderem darin nachbessern, der Haupthandlung einfacher folgen zu können.
Zieht man andere Genrevertreter als Referenz heran, wirkt noch manches etwas ungeschliffen. Eine Schnellreise ist nur eingeschränkt verfügbar, eine Karte gibt es nicht, was bei den ersten Anläufen manchmal dazu führt, dass man sein Ziel nur durch Zufall findet. Auch die Bedienung geriet abseits des bereits erwähnten Tastendrück-Overkills bei den Dialogen ohne eine Maussteuerung etwas hakelig, ist jedoch mit etwas Spielzeit auch eingeübt – zumal schnelle Aktionen unter Zeitdruck selten absolviert werden müssen. Angeboten hätte sich aus meiner Sicht noch eine Tagebuchfunktion, der die Charaktere des Spiels und ihre Beziehung zu Ren übersichtlich und freischaltbar zusammenfasst. Dafür ist ein tolles Hilfesystem im Spiel direkt integriert. Bei Problemen kann man sich vertrauensvoll an das Skelett mit Hellsicht wenden, welches in seiner Höhle regelmäßig einen Tipp parat hat, was jetzt am besten zu tun ist.
Stilsicheres Ambiente
Auch bei der grafischen Gestaltung war NikkiJay Autodidaktin und hat sich über einschlägige Kurse das notwendige Rüstzeug selbst beigebracht. Das Ergebnis wirkt mit seiner 2D-Pixelart-Grafik zwar nicht enorm detailreich, ist aber durchweg stilsicher.
Mich erinnerte die Optik angenehm an die selige Jump-’n‘-Run-Reihe Jill of the Jungle von Epic MegaGames. Auch bietet die Präsentation punktuell moderne Highlights wie schöne Spiegelungen im Wasser oder einen (abschaltbaren) CRT-Filter. Auch einen Tag-und-Nacht-Wechsel gibt es, der sogar für Rätsel relevant ist.
Die Musik schlägt piepsig-sphärische Retro-Klänge an und überzeugt dabei sehr, wovon man sich hier auf YouTube selbst überzeugen kann. Unterstützt wurde die Entwicklerin dabei vom Musiker Jerden Cooke.
Zusammenfassung
FAZIT
Die Bewertung eines solch persönlichen Spiels ist nicht ganz einfach. Hat NikkiJay doch so viel von sich und ihrem schweren Aufwachsen in das Spiel mit aufgenommen. Was mir besonders imponiert, dass keinerlei Bitterkeit im Titel zu spüren ist, sondern sogar Sekten und ihre weltanschauliche Begrenztheit mit einem heiteren Augenzwinkern der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die besten Momente hat Quantum Witch beim Entdecken der Welt und wenn man als Spieler die breite Entscheidungsvielfalt der Geschichte spürt. Als Spiel legt sich der Titel manchen Stein in den Weg, der die Wiederspielfreude doch einschränkt. Diese wäre wegen so vieler wählbarer Entscheidungsstränge aber besonders wichtig.
Dennoch ist die Geschichte von Ren mehr als die Summe ihrer Teile und Fans von guten Erzählungen und interaktiven Abenteuern werden sicherlich dafür belohnt, wenn sie die ein oder andere Eigenheit in Kauf nehmen.