Der Sommer ist da – und wie! Auch auf die Gefahr hin, dass neben Tastatur, Maus, Gamepad und grauen Zellen auch noch eure CPU und Grafikkarte zu rauchen beginnen, hat Onkel Tom wieder ein paar Gaming-Tipps für euch.
Blue Prince
Blaue Pausen VS. Graue Zellen
Blue Prince versucht sich daran einem klassischen Puzzle-Adventure ein roguelike-artiges Grundgerüst zu verpassen. Als potenzieller Erbe eines altehrwürdigen Anwesens besteht unser Ziel darin, Raum 46 zu finden – obwohl es laut Grundriss nur 45 Räume gibt. Was folgt, ist eine gelungene Mischung aus Erkundung, Planung und Rätseln vor einer Hintergrundgeschichte, die immer tiefer und tiefer geht.
Das Spiel läuft in „Tagen“ ab, wobei jeder Tag ein Durchlauf durch das Haus ist. Dabei steht jeweils nur eine begrenzte Anzahl Schritte zur Verfügung, um so viele Räume wie möglich zu durchqueren und zu erkunden. Die größte Herausforderung stellt dabei das sogenannte Drafting-System dar: Nach dem Öffnen einer Tür erhält man mehrere Raumkarten zur Auswahl, von denen genau eine platziert werden darf (und muss!). Jeder Raum hat vordefinierte Ein- und Ausgänge und Eigenschaften. Manche gewähren zusätzliche Schritte, andere enthalten (teilweise kombinierbare) Gegenstände oder sind Teil eines kleinen oder auch mal größeren Rätsels. Wie es sich für ein Roguelike gehört schaltet man durch das Erfüllen bestimmter Kriterien oder Aufgaben außerdem nach und nach neue Raumkarten, Boni und permanente Upgrades frei.
Das Anordnen der Räume, Abwiegen von Vor- und Nachteilen und vieles mehr sind Teil eines täglichen Raum-Planungsspiels, welches mit jedem neuen Tag komplexer wird. Schlafzimmer, Badezimmer, Maschinenräume, Lagerräume und Geheimkammern fügen sich zu einem ständig wechselnden Grundriss zusammen. Hinweise auf die tiefere Geschichte finden sich in Textfragmenten, Raumdetails und oft gut versteckten Hinweisen, die sich über mehrere Durchläufe hinweg allmählich zu einem Bild zusammensetzen, das schnell klar macht: Das (erstmalige) Finden von Raum 46 ist gerade mal der Anfang …
Blue Prince setzt stark auf Wiederholung und Lerneffekte. Es gibt eigentlich kein klassisches Fortschrittssystem, sondern es ist vorwiegend unser spielerisches (Hintergrund-)Wissen, das mit der Zeit wächst. Notizen und Screenshots sammeln ist Pflicht, um dem nächsten Ziel – vor allem in späteren Durchläufen verfolgt man meist mehrere parallel – langsam näherzukommen.
Die teilweise sehr anspruchsvollen und vor allem verschachtelten Rätsel sind auch für Puzzle-Profis fordernd. Durch den allgegenwärtigen Zufallsgenerator sind aber auch Frustmomente vorprogrammiert – der vielleicht einzig wirklich legitime Kritikpunkt an dem Spiel. Doch wer Freude an strukturiertem Denken, Erforschung und nicht linearen Geschichten hat, findet hier ein faszinierendes Spielerlebnis, das gleichermaßen zum Grübeln, wie zum Experimentieren einlädt. Blue Prince ist kein Spiel für zwischendurch, sondern ein fordernde, aber lohnende Herausforderung für geduldige Fans anspruchsvollen Rätseln.
South of Midnight
Im Süden viel Neues
South of Midnight ist ein gelungenes Action-Adventure welches die Spielenden in eine magisch durchdrungene Version des amerikanischen Südens versetzt. Im Mittelpunkt steht Hazel Flood, eine junge Frau mit besonderen Fähigkeiten, die sich nach einem verheerenden Sturm auf eine Reise durch ein surreales Ödland begibt – stets auf der Suche nach familiären Wahrheiten, alten Legenden und ihrem eigenen Platz in der Welt.
Die Erzählung ist durchzogen von folkloristischer Symbolik und Themen wie Verlust, Traumabewältigung und kulturellem Erbe. Hazel kämpft und interagiert mit Geistern, die manchmal weniger Gegner, als tragische Figuren sind. Das Kampfsystem setzt auf Nahkampf mit zwei magischen Haken, magische Fähigkeiten fügen Kombo-Möglichkeiten hinzu, etwa Flächenangriffe oder das kurzfristige Verlangsamen von Gegnern. Allerdings bleibt das Kampfsystem trotz dieser Elemente recht simpel und repetitiv.
Die grafische Gestaltung ist hingegen eine der Stärken von South of Midnight. Sie vereint stilisierte 3D-Modelle mit leichtem Stop-Motion-Flair welche das ganz eigene Flair des Südens der USA gekonnt einfangen. Die Umgebungen – von verfallenen Plantagen über knorrige Sumpfpfade bis hin zu geisterhaften Zwischenwelten – wirken gleichzeitig schön und bedrohlich. Begleitet wird das Geschehen von einem eindrucksvollen und einzigartigen Soundtrack, der Folk-, Blues- und orchestrale Elemente verbindet.
Erzählerisch bleibt das Spiel oft kryptisch, Hazels Reise ist keine klassische Heldenreise, sondern eher eine innere Aufarbeitung – erzählt in der Form von Mythen, Erinnerungen und Symbolen. Der lineare Aufbau der Kapitel unterstreicht diesen Fokus, erlaubt aber wenig spielerische Freiheit und einen nur sehr geringen Wiederspielwert.
South of Midnight ist vor allem ein atmosphärisches Erlebnis. Ein ansprechendes visuelles Design, gute musikalische Untermalung, kulturelle Tiefe und eine emotionale Geschichte gefallen, wirklich anspruchsvolles Gameplay sucht man allerdings vergebens. Trotz dieser Schwäche ist das Spiel durch seinen Stil, seine Stimmung und seine Erzählweise aber ein (be)merkenswerter Titel.
Oddsparks: An Automation Adventure
Der Funke springt über …
Kombiniert man bekannte Elemente aus Automatisierungstiteln mit einem charmanten Fantasy-Setting und einer fröhlich-friedlichen Grundstimmung kommt etwas wie Oddsparks: An Automation Adventure dabei raus. Statt Förderbändern und Maschinen dominieren hier allerdings knuffige Kreaturen, die sogenannten Sparks, das Geschehen. Sie sind Arbeitskraft, Logistiksystem und Erkundungseinheiten in einem – aber leider auch strunzdumm.
Im Kern geht es darum, Ressourcen zu sammeln, Verarbeitungsketten aufzubauen und Produktionswege zu organisieren. Sparks werden ausgesendet, um Rohstoffe wie Holz oder Stein abzubauen und an Gebäude zu liefern, die daraus verschiedenste (Zwischen-)Produkte herstellen. Durch das Erledigen von Quests oder den Bau bestimmter Strukturen werden neue Technologien freigeschaltet, die neue und effizientere Sparks oder verbesserte Gebäude ermöglichen.
Statt starre Förderbandkonstruktionen zu nutzen, bauen wir Wege, denen die Sparks brav folgen. Diese Wege lassen sich mit Filtern, Kreuzungen und Abzweigungen versehen, was zu komplexeren Netzwerken führen kann. Vorsicht aber vor zu komplizierten Strukturen: Die Sparks sind nicht die schlauesten und können sich gegenseitig derart blockieren, dass eine komplette Produktionskette plötzlich komplett zum Stillstand kommt.
Viele Abläufe kann man also planen, aber immer wieder müssen Sparks manuell gelenkt werden. Das trifft vor allem auf die Erforschung neuer Regionen, sowie auf die Kämpfe zu. Die Welt selbst ist in Biome unterteilt, die zufällig generiert werden und nach und nach mit neuen Ressourcen, Gegnern und Aufträgen aufwarten. Die vorwiegend optionalen Kämpfe – meist nur nötig um an bestimmte Ressourcen zu gelangen – laufen eher passiv ab, indem man seine Sparks einfach in Richtung eines Gegners schickt. Außer einem Rückzugsbefehl um z.B. einem Flächenangriff auszuweichen, gibt es allerdings keine tiefergehenden taktischen Möglichkeiten, um diese Auseinandersetzungen stark zu beeinflussen.
Optisch setzt Oddsparks auf ein verspieltes Charakterdesign, die Sparks selbst sind liebevoll animiert und die wenigen NPCs wirken charmant wenn auch – wie die gesamte Hintergrundgeschichte – sehr oberflächlich. Trotz der etwas kindlich wirkenden Ästhetik bietet das Spiel durchaus Tiefe. Die Komplexität wächst mit der Ausdehnung unseres Produktionsnetzwerks, aber ohne jemals überwältigend zu wirken.
Oddsparks: An Automation Adventure überzeugt als entschleunigtes und nicht zu kompliziertes Automatisierungsspiel. Es verbindet Aufbau, Erforschung und Logistik in einem mehr als sympathischen Spiel für alle Altersklassen.
Oddsparks: An Automation Adventure auf Steam
Clair Obscur: Expedition 33
JRGP-Meisterwerk aus französischer Küche
Clair Obscur: Expedition 33 ist ein erzählerisch und visuell ambitioniertes Rollenspiel, welches sich in kürzester Zeit vom Geheimtipp zum Blockbuster und mancherorts sogar schon Favoriten für das (Rollen)Spiel des Jahres gemausert hat.
Entwickelt vom französischen Studio Sandfall Interactive, entführt das Spiel in eine düstere vom Stil der französischen Belle Époque geprägte Welt, die nicht nur durch ihre Ästhetik hervorsticht. Die Handlung dreht sich um die Bewohner der Inselstadt Lumière und ihren Kampf gegen die Zeit. Jenseits des Ozeans sehen sie tagtäglich einen Monolithen, auf dem eine Zahl zu lesen ist. Jedes Jahr erwacht die mysteriöse Malerin und malt eine neue, niedrigere Zahl auf diesen Monolithen. Jeder und jede, die älter als diese Zahl sind, lösen sich daraufhin in Rauch und Blütenblättern auf und verschwinden. Und jedes Jahr macht sich eine neue Expedition auf, um das Geheimnis der Malerin zu lüften und sie endlich aufzuhalten, bevor sie Lumière und seine Bewohner endgültig auslöscht …
Im Mittelpunkt des Gameplays steht ein hybrides Kampfsystem: Rundenbasiert, aber angereichert durch aktive Elemente wie zeitkritische QuickTime-Events, Ausweichmanöver und Blockaktionen. Diese Mischung sorgt für ein hohes Maß an Interaktivität in jedem Kampf und verlangt nicht nur strategisches Denken, sondern auch gutes Timing. Die verschiedenen möglichen Mitglieder unseres Teams verfügen zudem über sehr individuelle Fähigkeiten und Angriffsmuster, was Teamzusammenstellung und taktische Vorausplanung enorm wichtigmacht.
Auch technisch lässt der Titel nichts anbrennen: Grafisch schlichtweg eine Augenweide, der Soundtrack einer der besten der letzten Jahre und auch die Sprecher überzeugen auf ganzer Linie. Auch die Charakterdesigns, Animationen und Effekte überzeugen. Kleinere Schwächen wie etwas eintönige Zwischengebiete oder gelegentlich unübersichtliche Kämpfe fallen da im Gesamteindruck praktisch überhaupt nicht ins Gewicht.
Inhaltlich bietet Clair Obscur: Expedition 33 eine Mischung aus linearen Hauptmissionen und optionalen Gebieten mit Nebenaufgaben, versteckten Inhalten und ergänzenden Story-Fragmenten. Der Spielfortschritt wird durch neue Fähigkeiten, Ausrüstungen und Erkundungsmöglichkeiten geprägt.
Clair Obscur: Expedition 33 ist anspruchsvoll, visuell und musikalisch beeindruckend und voll erzählerischer Tiefe. Ein Werk, das sich klar vom RPG-Mainstream abhebt und trotzdem alle Wünsche von Rollenspiel-Fans (über)erfüllt!