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Prey im Test

Jüngeren Generationen in der westlichen Welt wird oft vorgeworfen, dass ihnen alles in den Schoß gelegt und sie von einem Erfolgserlebnis zum anderen getragen werden – auch wenn sie eigentlich gar nichts bemerkenswertes vollbracht haben. Prey ist eines dieser in den letzten Jahren selten gewordenen, nun aber ein kleines Revival erlebenden Games, dass „Opfer“ dieses Trends unbarmherzig abstraft. Es ist nicht nur bockschwer, es bestraft einen auch für mangelnden Einsatz. Wie? Lasst mich erklären …

Viele Games die vor allem auf cineastische Inszenierung setzen – und das taten viele der erfolgreichsten Spiele der letzten Jahre – starten ihre Story gern mit irgendetwas besonders Epischem. Einem Moment, der einen mit offenem Mund vor dem Screen sitzen und den Kauf des Titels schon gut vor sich selbst rechtfertigen lässt. Prey tut das nicht. Keine Ahnung ob das freiwillig und mit Absicht oder doch aus Versehen passiert ist, aber in Relation zum restlichen Spiel beginnt das jüngste Werk der Arkane Studios ziemlich schwach. Chancen der cleveren, modernen Charakter-Erstellung werden zum Beispiel amateurhaft verspielt: Unser Alter Ego hier heißt Morgan Yu und kann weiblich, aber auch männlich sein. Zu Beginn leidet er (in Bezug auf „Alter Ego“, kein Sexismus 😉 ) allerdings an schwerer Amnesie, wacht vermeintlich in seiner Wohnung auf und schleppt sich auf Wunsch erst einmal ins Bad. Der Spiegel dort spiegelt aber nicht … dennoch hat man keine 60 Sekunden zuvor in einem Bildschirm der wie ein Badezimmerspiegel aussieht ausgewählt ob man Männlein oder Weiblein spielen will. Warum nicht diesen Screen hierher verlegen? Hätte deutlich integrierter gewirkt. Aber das ist wohl vermutlich ein Detail, das mir ganz persönlich negativ aufgefallen ist und vielen anderen vollkommen schnuppe sein wird.

Die besagten „anderen“ dürften eventuell mehr stören und enttäuschen, beispielsweie dass man erst auf recht klassische Art und Weise beginnt, namlich die Talos I, also die Raumstation auf der das ganze Spiel stattfindet, zu erkunden. Die Inszenierung, vor allem die der ersten Stunde, in der ihr noch ein Experiment mitmacht und glaubt nach wie vor auf der Erde zu sein, ist irgendwie gewöhnlich. Auch der Art-Style, der auf den ersten Blick dermaßen stark an Bioshock erinnert, sodass man laut „PLAGIAT“ rufen möchte und ebenso die Story nach der Intro-Sequenz wirken wenig innovativ: Die Experimente der Menschen mit Alien-Material gingen schief, jetzt sind die Aliens los und töten alle Menschen. Wir sind maßgeblich schuld daran und müssen zusehen das wieder in Ordnung zu bekommen. Kennt man soweit irgendwie schon.

Klassische Kinder der Generation „ein Erfolgserlebnis jagt das nächste“, werden hier also wohl bald schon abdrehen … zumal es auch irgendwie mühsam ist voran zu kommen, da es keine fixen Wegpunkte gibt und man sich selbst den Weg durch die Station suchen muss. Außerdem muss man jede Menge Mails, Zettel, Briefe und andere Dinge lesen, um ein umfassendes Bild von den Geschehnissen an Bord zu bekommen. Und überhaupt ist die Grafik irgendwie nicht soooo toll, das Trefferfeedback Level Kevin, Multiplayer gibt’s auch keinen und „mimimimimi“ ich mag nicht mehr.

Wer so denkt  (ich hatte es bereits angekündigt) wird bestraft. Denn er verpasst unglaublich viel. Ja, all die „Kritikpunkte“ weiter oben stimmen schon, sind aber nicht wirklich der Rede wert. Viel eher sind sie allesamt Teile des großen Puzzles, die Prey in seiner Gesamtheit zu einer endlich mal wieder herausfordernden und Mühe belohnenden Gaming-Erfahrung machen, die mit unglaublich viel Detailliebe und Hingabe geschaffen wurde. „Leider“ wird einem das aber erst nach einigen Stunden im Spiel bewusst. Dann nämlich, wenn ihr mit der glaubhaft, komplex und detailreich gestalteten Raumstation sowie mit dem Gameplay vertrauter geworden seid und die Kampagne mit immer mehr echt spannenden und teilweise auch zeitkritischen Sidequests um sich wirft, zunehmend interessante Charaktere ins Spiel bringt und euch stärker mit den immer und überall mitschwingenden Grundsatzfragen rund um die Themen Menschlichkeit und Ethik konfrontiert – was übrigens so ab der sechsten von ca. 40 Spielstunden passiert.

Hier wird die Freiheit, die euch die Entwickler lassen, dann auch zur echten Stärke. Ja, ihr werdet mit euren Problemen sehr oft allein gelassen – bekommt für viele Aufgaben (vornehmlich die Sidequests) keine Wegpunkte oder gar alle Infos. Aber was bitte ist schlecht daran, selbst mal wieder auf so manche Dinge drauf kommen zu dürfen? Lasst es euch von mir aus Erfahrung sagen: Es ist viel befriedigender, etwas so simples wie den Code eines Safes durch den Abgleich einer Notiz mit einer im Labor stehenden Tafel des Periodensystems heraus zu finden, als die darin verborgenen Items einfach an irgendeiner Stelle am Boden zu finden, die auf jeden Fall am Laufweg des Spielers liegt. Klar ist aber auch: Wer diese Verbindung nicht herstellen kann, nicht checkt dass die Eselsbrücke des Safe-Eigentümers sich auf das Periodensystem bezieht, für den bleibt der Safe verschlossen. Zumindest sofern sein Hacking-Skill noch nicht hoch genug ist. Denn Prey wäre kein Spiel von den Arkane Studios, gäbe es nicht für jedes Problem zahlreiche Lösungen. Egal ob eine verschlossene Tür, mächtiger Gegner oder Story-entscheidende Momente: Ihr habt immer jede Menge Möglichkeiten.

Viele davon sind davon abhängig, wie ihr euren Charakter so aufgelevelt habt. Denn auch wenn die Bilder, Videos und eventuelle Erinnerungen an das letzte Spiel das Prey hieß, es vielleicht verheißen mögen: dieses Prey ist definitiv kein Shooter. Es ist ein Open-World-SciFi-Survival-Action-Adventure-RPG aus der Ego-Perspektive mit Horror-Elementen. Klingt komplex, ist es auch. Aber „gut komplex“. Viele meiner Kollegen bringen in Hinblick auf Prey Vergleiche mit System Shock vor – und ich bin geneigt zuzustimmen. In gewisser Hinsicht könnte Prey sogar als inoffizieller Nachfolger durchgehen – zeigen sich in seiner Grundausrichtung viele Parallelen.

Doch zurück zum „aufleveln“: Auch hier wird dranbleiben belohnt. Ihr seht nämlich nicht von Anfang an gleich all die Fähigkeiten, die ihr ausbauen könnt. Stattdessen habt ihr die ersten paar Stunden nur Zugriff auf die quasi altbekannten Basics, mit denen ihr aber schon maßgeblich euren Spielstil prägen könnt: Hacking-Skills, die Fähigkeit schwere Objekte zu tragen, mehr Gesundheit, höhere Ausdauer, Schleich-Fähigkeiten, weniger Rückstoß … die Basics eben. Nach einigen Stunden im Spiel kommt aber die große Wendung: Neben den drei ursprünglichen Talentbäumen tun sich drei weitere für euch auf – solche mit Alienfähigkeiten. Durch diese könnt ihr so mächtige Skills aufbauen wie euch in jedes beliebige Objekt zu verwandeln (gut zum verstecken, ebenso um durch kleinste Spalten schlüpfen zu können), Psi-Explosionen auszulösen oder telepathisch die Kontrolle über diverse Objekte und Lebewesen zu übernehmen. Sehr cool …

Doch die dafür nötigen Neuromods (also Fähigkeitspunkte) sind ebenso rar wie Munition oder andere, wichtige Gegenstände. Bestes Beispiel: Medkits. Deren Fehlen in eurem Inventar kann und wird des Öfteren zum Problem werden. Denn Prey ist absolut kein leichtes Spiel. Zwar sind die KI-Schergen mental recht simpel gestrickt, dafür halten sie in der Regel eine ganze Menge aus und können umso mehr Schaden anrichten. Stellt euch also ruhig darauf ein, einige Male ins virtuelle Gras zu beißen. Dennoch gilt auch hier: Eifer und Gewissenhaftigkeit werden belohnt. Wer recht früh im Spiel schon die Blaupause für Medkits und Munition findet, hat es sicherlich deutlich leichter als jemand, der auf die Erste-Hilfe-Pakete und Patronen angewiesen ist, die mal eben so in der Station rumliegen. Crafting-System sei Dank.

Dieses setzt auf Rohstoffe und Blaupausen. Das clevere dabei: An speziellen Recycling-Maschinen könnt ihr allerhand Müll, den ihr so aufsammelt, in ihre Bestandteile und somit Rohstoffe aufsplitten. Diese wiederum könnt ihr an einer anderen Maschine – die Blaupause vorausgesetzt – in Objekte verwandeln … zum Beispiel eben Medkits, Munition oder andere Objekte. Eine äußerst elegante und gut funktionierende Lösung.

Ebenso „gut funktionieren“ tut die Raumstation Talos I selbst. Sie ist das eigentliche Highlight des Spiels. Nicht nur, dass sie, soweit ich das als Laie beurteilen kann, in ihrer Zusammenstellung mit Erholungs-, Forschungs- und Technik-Bereichen irgendwie Sinn macht, sie ist zudem so gut wie jederzeit frei erkundbar und wortwörtlich gepflastert mit entdeckenswerten Details, die entweder nur zum Schmunzeln bringen, unverhofft in spannende Sidequests münden oder einfach ergreifende Geschichten zu einst auf ihr leben- und arbeitenden Menschen erzählt. Zusätzlicher Clou: Ihr könnt sie auch von außen bewundern. Diverse Luftschleusen erlauben euch sehr regelmäßig den einen oder anderen Weltraumspaziergang zu starten. Auch dort lauern aber freilich Gefahren, denen zu begegnen aber noch einmal ganz andere Herausforderungen birgt, als innerhalb der Station. Das liegt natürlich vor allem daran, dass ihr euch in alle drei Dimensionen bewegen könnt und somit auch die Gegner von überall kommen können. Das alles andere als optimal gelöste Trefferfeedback und das Handling der mannigfaltigen Waffen ist da dann freilich auch nicht unbedingt hilfreich. Prinzipiell gilt bei Prey in Sachen Movement zudem: Die PC-Version macht aufgrund der Maus-Steuerung die kleinsten Probleme im Kampf. Auf den Konsolen braucht es mehr Übung.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zur Technik. Auch hier haben die Konsolen das Nachsehen. Nicht nur dass die Ladezeiten zwischen den Stationsabschnitten gerne mal über eine Minute betragen können, die verwendete CryEngine hat hier zudem die größten Probleme beim Laden der Texturen. Es ist in Prey nicht ungewöhnlich an einzelnen Stellen, oder auch mal ganzen Flächen, erst einmal nur sehr unscharfe Matschtapeten vorzufinden, die sich nach und nach in eine scharfe Textur verwandeln. Ein Problem, das auch am PC auftritt – unabhängig von der vorhandenen Menge an Videospeicher. Der Sound kann hingegen auf allen Plattformen überzeugen. Die Sprecher sind gut, die Alien-Effekte ebenso verstörend wie passend und der Soundtrack überzeugt vor allem durch seine Abwesenheit – nichts anderes würde den Effekt des „allein im All seins“ immerhin besser unterstreichen als totale Stille.

FAZIT

Schon beim ersten Hands-On Termin scherzten einige Kollegen und ich noch: „Prey könnte gut und gern das beste Spiel des Jahres sein, das keiner kauft.“ Eine Aussage, die nach meiner Zeit mit dem Spiel durchaus zutreffen könnte. Denn eines steht fest: Prey ist großartig. Die Raumstation, die aufgebaute Welt mit all ihren Geschichten, die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die selbstverständliche Freiheit … hat man genug Muße, sich darin zu vertiefen, ist Prey unglaublich belohnend. Die Befürchtung, dass sich nicht so viele diese Mühe antun wollen, wie es das Spiel verdienen würde, bleibt aber bestehen. Hier also mein Appell: Wenn ihr euch schon die „Mühe“ gemacht habt, diesen ganzen Artikel – oder auch nur das ganze Fazit – zu lesen, dann geht jetzt los und kauft Prey. Ihr werdet es nicht bereuen.

Gesamtwertung: 9.2

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 8 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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