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Visage im Test

Angst ist eine der grundlegendsten Empfindungen, zu denen wir fähig sind. Sei es vor Verlust, dem Ungewissen oder den eigenen Schuldgefühlen, weil man jenen die man liebt, unsägliches Leid zugefügt hat. Was, wenn wir uns unsere Sünden nicht selbst vergeben können und sie in der Finsternis auf uns warten? Ist die Hölle ein brennender Abgrund durchzogen mit den Schreien der Verdammten oder ist sie das kalte Schweigen eines Hinterbliebenen, der in einem leeren Raum den Tod seiner Familie betrauert? Ist die Antwort dieser Fragen der Pfad zur Erlösung oder offenbart sie endgültig die abstoßende Visage unseres Handelns?

Langsam, schwer atmend, nimmt er die Pistole in die Hand, fügt Kugel und Kugel in die Kammern. Jedes einzelne dieser Projektile wird das Ende einer Zukunft bedeuten. Träume werden unter der Last der kaltblütigen Realität erodieren. Nur mehr Stille, dort wo Lachen sein sollte, eisige Einsamkeit, wenn das Leben dem Tode gewichen ist. Nichts wird ihn aufhalten, ihn der er sich nun zum Henker empor geschwungen hat, auch nicht das verzweifelte Schreien seiner Frau, als er die Waffe an den Kopf seines Sohnes hält und abdrückt. Auch nicht das Winseln seiner Tochter, als sie in der Lache ihres eigenen Blutes stirbt. Nicht einmal der strafende Blick der Frau, die er einst liebte, als das Leben aus ihr weicht, kann seinem Wahnsinn ein Ende setzen. Dieses Privileg gebührt ihm dem Vater, dem Ehemann, dem Henker seiner Familie. Er hält sich, jetzt da die Tat vollbracht ist, die Waffe an die Schläfe und beendet den Wahnsinn dieser Nacht mit seinem eigenen Tod. So dachte er es sich, so war es geplant, doch es ist ein Narr, der glaubt, dass Wahnsinn mit dem Tode endet!

Eine Immobilie zum Fürchten!

Mein Name ist David Weisz und ich habe Nerven aus Stahl! Dachte ich zumindest bisher, denn Visage hat mich gänzlich meiner Illusionen bezüglich meiner Horror-Verträglichkeit beraubt! Es ist das erste Game seit den jeweils ersten Teilen von Layers of Fear und Outlast die mich vor Angst und Panik aufschreien haben lassen und das, obwohl Visage weitgehend auf brachiale Jumpscares verzichtet. Doch wie schafft es das? Nun, zum einen ist es überaus hart und kompromisslos. Das oben beschriebene Szenario ist eine detaillierte Beschreibung des Intros. Darin werden wir Zeuge wie der Protagonist seine komplette Familie ermordet und Suizid begeht, nur um Augenblicke später blutüberströmt in einem Badezimmer aufzuwachen.

Der zweite wesentliche Faktor in dem Kunststück, das sich Visage nennt, ist die schier atemberaubende Atmosphäre der Umgebung. Handlungsort ist ein großes, relativ modernes Haus in den Achtzigern, das in seiner ausladenden und verwinkelten Struktur problemlos Schauplatz eines Films der Scream-Reihe sein könnte. Treppen, schaurige Gänge, verschlossene Türen, laden zum Erkunden ein und so dauert es nicht lange, bis der erste Verdacht aufkeimt, dass man möglicherweise nicht ganz so allein durch die Gemäuer wandelt, wie man zunächst dachte. Lichter gehen aus, Türen schließen sich und Radios schalten sich von selbst aus und an. Dank der Tatsache, dass diese kleinen Ereignisse dynamisch sind und nicht an ein Skript gebunden, bleibt Visage herrlich unberechenbar, was die Spannung in die Höhe treibt, ohne sich zu großer Mittel bedienen zu müssen.

Werden wir Zeuge einer übernatürlichen Situation, schadet dies der psychischen Stabilität der Hauptfigur. Sinkt die mentale Zurechnungsfähigkeit, steigert sich die Frequenz der Zwischenfälle, was zum Tode führen kann. Um dies zu verhindern, ist es klug nicht allzu lange in der Dunkelheit zu stehen, daher ist es ratsam immer genügend eigene Lichtquellen mitzuhaben. Da Kerzen, Feuerzeuge und Co. recht selten sind, gilt es diese Ressourcen gut einzuteilen.

Die Geister, die ich rief?

Visage erzählt seine – sehr interpretationsfreudige – Geschichte in vier Kapitel. Diese erzählen von den Schicksalen früherer Bewohner des Hauses.  Die Kapitel lassen sich in beliebiger Reihenfolge starten, in dem man gewisse Schlüsselobjekte aufnimmt. Ziel in den jeweiligen Abschnitten ist es, besondere Artefakte aus den Leben der Geister zu finden und auf einen Opferaltar zu platzieren.

Natürlich wäre Visage kein Horror-Game, wenn uns die Verstorbenen dabei nicht auf die Pelle rücken würden. Und da gelingt dem Game ein Glanzstück! Schon lange nicht mehr durfte ich so kreativen und cleveren Grusel erleben wie in Visage. Wo viele Ableger des Genres mit dem Holzhammer und lauten Klängen um die Ecke kommen, bewegt sich Visage um einiges eleganter. Sicherlich, auch dieses Spiel hat den einen oder anderen gut platzierten Jumpscare, aber die zum Teil unheimlichsten Momente könnten übersehen werden, wenn man die Augen nicht offen hält.

Eine Sequenz, im zweiten Kapitel, hat es mir besonders angetan. Darin drehte ich meine tausendste Runde durch diesen Bereich und kam an einer altbekannten Stelle vorbei. Etliche Meter im Hintergrund ist normalerweise die Silhouette einer Puppe hinter einer blauen Plane zu sehen, soweit so unspektakulär. Doch dieses eine Mal entdeckte ich, dass nicht die Puppe zu sehen ist, sondern die Gestalt einer Frau. Und da hat es mich voll erwischt. Es gab keine laute Musik, kein Aufspringen, nein, sie war einfach nur da, ich hätte sie leicht übersehen können, der Schrecken, den man vielleicht erst auf den zweiten Blick sieht, sowas macht mir richtig Angst!

Angst hat mir auch gelegentlich die Steuerung gemacht. Würde ich verbissen Schwachpunkte suchen, so wäre das Handling und die Inventargestaltung ganz vorne mit dabei. Der Spielcharakter kann maximal zwei Gegenstände in der Hand halten, drei weitere im Inventar verstauen. Damit ich einen Gegenstand von der Hand ins Inventar bekomme, muss ich teilweise ziemlich umständliche Tastenkombinationen vom Stapel lassen. Bis zum Ende war ich mir nicht immer sicher, wie ich das Feuerzeug aufhebe, von der Hand in die Tasche bekomme und retour. Intuitives Management sieht leider anders aus. Auch ein Problem stellt das Fadenkreuz dar, da es sehr blass und eher klein gestaltet ist. Sicherlich, die Intention dahinter ist, die überragende Atmosphäre nicht durch ein überladenes Interface einzuschränken. Der gute Wille entpuppt sich hier allerdings als zweischneidiges Schwert. Gerade in stressigen Situationen ist es schwer, die Türklinke anzuvisieren und die Türe zu öffnen, was zu unnötigen Toden und Frust führt, zum Leidwesen der eigentlich tollen Stimmung.

FAZIT Dave

Ja, ich denke, ich kann es nun sagen: Visage hat mein heiß geliebtes Layers of Fear als gruseligstes Game abgelöst. Dabei erfindet es das Rad des aktuellen Horror-Genres nicht neu, poliert es jedoch und gibt dem Ganzen mehr Eleganz, indem es seinen Grusel subtiler entfaltet als andere. Eine zufallende Tür hier, eine explodierende Lampe da, ein Geist, der um die Ecke blickt und dir fällt es erst beim dritten Mal Hinsehen auf. Ich weiß nicht warum, aber Visage hat auf meiner Klaviatur des Schreckens gespielt, wie ein Pianist mit zwölf Fingern. Der Gedanke, dass etwas bei meinem Fenster hineinsieht, allein in einem großen Haus zu sein, all das fällt bei mir auf fruchtbaren Boden.

Unterstrichen wird das Ganze von einem Haus, das zum Erkunden einlädt und zu jedem Zeitpunkt schaurig ist. Das ist der zum Teil fast schon fotorealistischen Graphik zu verdanken. Auch das Design und der Einsatz der Geister suchen ihres Gleichen. Zugegeben nicht jeder der vier Seelen verbreitet so viel Schrecken, wie andere im Haus, aber unterhaltsam sind sie alle.

Ich mochte auch die durchaus knackigen Rätsel, welche das Geschehen auflockern. Die Lösungen vieler Kopfnüsse liegen nicht immer auf der Hand und erfordern es um die Ecke zu denken. Also ich bin nicht selten suchend durch die Flure gelaufen und habe etwas geflucht, aber gerade durch meine Extrarunden konnte ich viele spannende Momente erleben.

Aus der Story des Games wurde ich nicht ganz so schlau, es bietet sich viel Raum für Interpretationen, was mir persönlich gut gefallen hat, aber manch anderen vielleicht mit einem Fragezeichen zurücklässt. Doch wie gesagt, ich war mehr als begeistert und kann Visage jedem der  Horror mag nur ans Herz legen!

FAZIT Markus

Als ich vor mittlerweile sechs Jahren das erste Mal den playable teaser (P.T.) zum nunmehr bereits eingestampften Silent Hill von Hideo Kojima und Guillermo del Toro auf meiner PlayStation 4 angeworfen habe, hätte mich selbiger beinahe um- und abgeworfen. In eine ähnliche Kerbe schlägt bei mir Visage. Schon nach der ersten Spielstunde machte sich bei mir neuerlich die hohe Anspannung in Form pochender Schläfen und verkrampfter Schultern bemerkbar. Denn wie bereits P.T. setzt auch Visage nur sehr selten auf billige Jump-Scares, dafür jedoch umso mehr auf eine dichte Atmosphäre – dank schaurig-schönem Sound – und damit auf einen konstant erhöhten Adrenalinpegel.

Dass sich das Pochen in den Schläfen mit zunehmender Spieldauer dann jedoch immer wieder in ausgewachsene Kopfschmerzen verwandelt, ist ein paar Momenten geschuldet, die mir umso deutlicher auffallen, als der Rest des Spieles schlicht großartig ist. Wenn mir die – bereits aus dem Early-Access bekannte – angehende Kieferorthopädin des (Spuk-)Hauses mein Unterkiefer zum bereits zehnten Mal in unmittelbarer Folge fachfraulich abmontiert, während ich doch nur verzweifelt auf der Suche nach dem Treppenaufgang aus dem Keller bin, macht der Schrecken alsbald Ärger Platz. Vor allem jedoch im Verlauf der „Krücken“-Episode geraten Pacing und Atmosphäre dadurch ins Stocken, dass die Entwickler auf Trial & Error-Passagen mit Stressfaktor setzen und damit von ihrem Erfolgsrezept abweichen. Dann hetze ich, in der steten Erwartung gleich neuerlich grausam malträtiert zu werden, durch Gänge und Flure, ohne dass mich das nächste Aufeinandertreffen mit meinem Peiniger dann noch schocken, geschweige denn erschrecken könnte. Komplettiert wird der Ärger in diesen Situationen durch eine teils störrische Steuerung – vor allem das gezielte Öffnen von Türen und Aufsammeln kleinerer Gegenstände hat mich in Stresssituationen oftmals Kopf und Kragen gekostet. Terror verhält sich eben nicht direkt proportional zu Horror.

Und genau das stellen gerade die übrigen Episoden von Visage eindrucksvoll unter Beweis – selbst Freunde von M. C. Escher und Johann Strauß II. werden bedient. Hier lehrt mir Visage doch ausschließlich seiner Atmosphäre wegen das Fürchten. P.T. hat nun endlich eine, nicht zuletzt auch in grafischer Hinsicht, würdige Umsetzung-im-Geiste als vollständiges Spiel erhalten und der erste Teil von Outlast – über den zweiten hüllen wir lieber den Mantel des Schweigens – schaurige Konkurrenz. Von mir bekommt Visage eine ausdrückliche Empfehlung für alle Fans von Adventure im Horror-Genre. Zugreifen!

Was ist Visage? Ein Horror-Spiel aus der Ego-Perspektive!
Plattformen: PC, Playstation 4, Xbox One
Getestet:  AMD Ryzen 7 37000X 8-Core Prozessor, 16GB RAM, Radeon RX Vega
Entwickler / Publisher: SadSquare Studio
Release: 30. Oktober 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 8.8

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 6 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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