Microids hat mit Syberia einen der ganz großen Klassiker des Adventure-Genres neu aufgelegt. Ist der lange Roadtrip von Kate Walker mit dem Automaton Oscar in Syberia Remastered immer noch das selbe emotionale Highlight, das mir vor über 20 Jahren fast ein paar Tränen aus meinen Augen gedrückt hat?
Syberia war bei seinem Erscheinen im Jahr 2002 ein Lebensretter. Nicht für mich, sondern für das Genre der Adventures. Es ist nämlich zu einer Zeit herausgekommen, als so gut wie alle Publisher das Genre der Point and Click Adventures totgesagt haben. Neue Entwicklungen wurden nach teuren 3D-Flops (Simon 3D, Escape from Monkey Island oder King’s Quest 8) nicht mehr finanziert, und 2D Spiele schon gar nicht. Der Anfang der 2000er hat 3D Shootern und Echtzeitstrategiespielen gehört. Nicht das die alle so schlecht waren, aber manche Leute wollten eben auch weiterhin Spiele aus anderen Genres – wie klassische Point and Click Adventures – spielen. Syberia war eines der wenigen in dieser Zeit erschienenen Spiele, das aufgezeigt hat, dass der Markt für gute Adventures weiterhin vorhanden war. Zwar nicht mehr als das umsatzstärkste Genre – aber groß genug, um damit bei mit einem mit vernünftigen Budget produzierten Spiel noch einen ordentlichen Gewinn zu erwirtschaften. Und den hat Publisher Microids definitiv erzielt, nachdem sich Syberia millionenfach verkauft hat.
Syberia ist das erfolgreichste Spiel des leider inzwischen verstorbenen belgischen Comiczeichners und Videospielentwicklers Benoît Sokal. Nach dem ersten Teil wurde die Geschichte bereits 2004 mit Syberia 2 fortgesetzt, um dann erst 2017 einen (mäßigen) dritten Teil und schließlich 2022 einen recht guten vierten Teil zu erhalten. Nun wurde der erste Teil neu aufgelegt und an die Fähigkeiten neuer Rechner (und Grafikkarten) angepasst. Microids hat dies erst vor wenigen Monaten auch recht erfolgreich mit dem ersten Computerspiel von Benoît Sokal, dem kultigen Amerzone, gemacht. Ich bin gespannt, ob die Neuauflage von Syberia ebenso gut gelungen ist.

Auf der Suche nach Hans
Wir spielen die junge New Yorker Anwältin Kate Walker, die in das abgelegene (fiktive) französische Dorf Valadilène reist, um mit der betagten Eigentümerin Anna Voralberg den Kauf ihrer lokalen (und Pleite gegangenen) Automaten-Fabrik für eine große amerikanische Spielzeugkette abzuschließen. Automaten sind hochentwickelte mechanische Geräte, die von komplizierten Uhrwerkmechanismen voller Zahnräder angetrieben werden und aufgezogen werden müssen – bis hin zu fast lebensechten Robotern. Dummerweise stirbt Anna Voralberg kurz vor der Ankunft von Kate, sodass der Notar den Verkauf nicht durchführen kann. Es stellt sich heraus, dass der verstorben geglaubte Bruder von Anna Voralberg, der geniale Erfinder Hans Voralberg, vermutlich noch am Leben und auf der mythischen Insel Syberia (in Nord-Sibirien) verschollen ist. Dort soll es noch Mammuts geben, von denen Hans – vor allem nach einem schweren Unfall in seiner Kindheit – fasziniert war. Nachdem Hans der alleinige Erbe der Fabrik ist, bleibt Kate also nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach ihm zu machen. Sie wird dabei von dem Automaten Oscar begleitet, der einen (mechanischen) Zug lenkt. Zuerst muss Oscar aber von Kate fertig zusammengebaut werden. Zusammen reisen Kate und Oscar dann auf der Spur von Hans mit dem Zug an fiktive Orte in Kontinentaleuropa und der ehemaligen Sowjetunion. Der erste Stop ist die alte Universitätsstadt Barrockstadt, danach geht es zur alten Bergwerksstadt Komkolzgrad, dann nach Aralbad. Auf ihrer Reise begegnen Kate nur relativ wenige andere Menschen, dafür aber großartige architektonische Bauten.
Steuerung und Technik
Die Steuerung von Kate erfolgt durch Klick auf den entsprechenden Ort, wobei sie auch laufen kann. Mit den relativ wenigen Hotspots kann interagiert werden, entweder um Aktionen auszuführen oder Gegenstände des Inventars mit ihnen zu verwenden. Gespräche laufen im Multiple-Choice Verfahren ab. Insgesamt ist der Schwierigkeitsgrad – dank beschränkter Interaktionsmöglichkeiten – nicht sonderlich hoch. Die Umgebungen bestehen aber durchaus aus weitläufigeren Bereichen, die abgesucht werden müssen, und Kate trägt bald einige Dinge mit sich herum. Sie hat auch ein Handy eingesteckt, mit dem sie von ihrem Boss in New York genervt wird, aber auch ihren untreuen Freund, ihre nervende Mutter oder eine Freundin anrufen kann. Wie bei den Spielen von Benoît Sokal üblich, müssen auch immer wieder kleine Minispiele, oft in Zusammenhang mit mechanischen Geräten, gelöst werden.
Technisch ist das Remaster von Syberia noch nicht so ganz perfekt, allerdings kann ich die Kritik mancher Fans auf Steam nicht zu 100% nachvollziehen. Die neue Grafik schaut toll aus, allerdings sind die Zwischensequenzen nur hochgerechnete Versionen der originalen Sequenzen. Hier seht ihr noch die alte Version von Kate, und einige dieser Sequenzen schauen in FullHD wirklich nicht gut aus. Das aus meiner Sicht gröbste Problem sind aber die Abstürze. Mir ist das Spiel das erste Mal zu Beginn des zweiten Kapitels abgestürzt. So schlimm ist das nicht, weil Syberia – Remastered regelmäßig automatisch speichert, trotzdem sind solche Abstürze kein Zeichen einer intensiven Qualitätskontrolle. Die Musik ist bei ein paar Szenen zu laut abgemischt und übertönt die Gespräche.
Syberia – Remastered ist in mehreren Sprachen, darunter deutsch, voll vertont. Es benötigt am PC eine halbwegs gute Grafikkarte (empfohlen mindestens eine NVIDIA GeForce GTX 1080 Ti / AMD Radeon RX580 8GB) und 8 GB RAM. Auf der Festplatte belegt es rund 25 GB Platz. Die höchste mögliche Auflösung scheint 2560×1440 zu sein, wodurch es auf meinem Ultrawide-Monitor mit schwarzen Balken auf der Seite dargestellt wird. Die Steuerung mit dem Gamepad funktioniert problemlos. Syberia – Remastered ist gleichzeitig für den PC, die PlayStation 5 und die Xbox X|S erschienen, eine VR-Version für die Quest 3 ist für 13.11. angekündigt.
Zusammenfassung
FAZIT
Syberia – Remastered bringt eine schöne neue Grafik und ein paar leicht überarbeitete Puzzles, aber im Kern ist es das selbe Spiel wie vor über 20 Jahren mit allen seinen Stärken und auch Schwächen. Die Sprachausgabe ist ident, die Zwischensequenzen sind die selben geblieben, der tolle Soundtrack hat sich nicht verändert. Die Geschichte einer jungen Frau, die sich zusammen mit einem mechanischen Zugführer auf die Suche nach einem seltsamen Erfinder macht, ist immer noch interessant und ungewöhnlich. Der Aufbau des Spieles erinnert ein wenig an Amerzone – ihr müsst ein paar Aufgaben an einem weitläufigen Ort lösen, um zum nächsten Ort weiterreisen zu können. Wer Adventures mag, kann sich nun Syberia in neuem Glanz anschauen. Die Kritik mancher Spieler auf Steam halte ich für überzogen – natürlich ist die Überarbeitung nicht perfekt, aber rein technisch macht das Spiel keinen so schlechten Eindruck. Es war und ist ein tolles Adventure im sehr individuellen Design von Benoît Sokal.
