Das am 7. August erschienene Mystery-Point&Click-Adventure Wildwood Down ist eine sehr persönliche Verbeugung der Indie-Entwickler vor einem guten Freund und entspinnt eine turbulente Verschwörungsgeschichte mit maskierten Mördern, Tauben und Wrestling rund um eine bekannte Strandpromenade in New Jersey.
Bühne frei für Daniel
Ob wir uns mit dem Hexer in eine unheilvolle Höhle voller gefährlicher Monsterbrut wagen oder als Commander Shepard die letzte Verteidigungslinie der Galaxis gegen einen alles verzehrenden Gegner aus den Tiefen des Raumes bilden – stets ist die Faszination einer Geschichte auch darin begründet, dass man in den vielen Stunden Spielzeit mit der Spielfigur verschmilzt. Und sich vielleicht auch klammheimlich vorstellt, man wäre selbst dieser unbezwingbare Streiter, der am Ende des Tages obsiegt. Nicht ohne Grund findet man sich oftmals beim Spielstart in einer Situation wieder, bei der die Spielfigur als Namenloser und gerne auch ohne Gedächtnis ein gänzlich unbeschriebenes Blatt ist, auf das der Spieler seine Persönlichkeit projizieren kann.
In den seltensten Fällen hat aber jemand das Privileg, selbst als Grundlage für ein virtuelles Abenteuer dienen zu dürfen. Das kleine Entwicklerstudio Crashable Studios aus Maryland/USA um die Brüder Micah und Luke Orsie haben in ihrem nunmehr dritten Titel einen Freund aus Kindertagen geehrt – nämlich Daniel D’Agostino.
Dieser lebt mit dem Down-Syndrom und habe als glühender Fan die bisherigen Spieleprojekte des Teams mit großer Freude verfolgt und unterstützt. Mit Wildwood Down ist er es nun, der dem Hauptcharakter sein Aussehen verleiht und auch seine Vertonung übernimmt. Zudem war Daniel D’Agostino auch an den Dialogen beteiligt. Die Idee zu dem Spiel sei bei einem gemeinsamen Ausflug ins real existierende Wildwood gekommen, dessen umtriebige Strandkulisse aus feierwütigen Jugendlichen, Bands und kleinen Attraktionen habe den Aufhänger für die Geschichte geliefert.
Wie bei Quantum Witch findet man auch hier ein Spiel vor, dessen Existenz untrennbar mit den Lebensgeschichten der beteiligten Personen verbunden ist. Wer etwas mehr über die heitere und zuweilen auch tragische Entwicklungsgeschichte erfahren möchte, findet hier auf YouTube eine kleine Dokumentation von Crashable Studios.
Party on!
Das Spiel beginnt damit, dass sich der von Daniel D’Agostino dargestellte Daniel sowie seine Schwester Becca mit ihrem Freund Josh und dem gemeinsamen Freund Dakota auf der Fahrt nach Wildwood in New Jersey befinden, wo ein großes Festival am dortigen Strand stattfindet. Die Autofahrt fungiert dabei einerseits als kleines Tutorial, etabliert aber auch gut geschrieben in kürzester Zeit die Charaktere. Während Daniel und Becca eine sehr innige Geschwisterbeziehung pflegen, ist Josh die Anwesenheit von Daniel ein Dorn im Auge, da er ihn als Belastung empfindet und er mit seiner Band keine Störungen gebrauchen könne. Dakota dagegen ist die gutmütige und hilfsbereite Seele, die sich Hoffnungen macht, in Wildwood das ein oder andere Herz zu erobern.
Als man beim Festival angekommen ist, wird Daniel umgehend von Josh dazu zwangsverpflichtet, für die Gruppe Essen zu organisieren. Wie für ein Point & Click-Adventure üblich, muss Daniel dabei den ein oder anderen Umweg in Kauf nehmen. So wird seine Kreditkarte postwendend von einer Möwe stibitzt. Hat man dann die begehrten Donuts nach weiteren explosiven Missgeschicken endlich im Inventar, fehlt plötzlich von Daniels Schwester jede Spur. Als die Gruppe sich dann auftrennt um nach Becca zu suchen, geschieht am Strand sogar ein Mord und die etwa sechs- bis achtstündige Mystery-Geschichte kommt ins Rollen.
Faszinierend ist dabei, wie Wildwood Down dabei das sorglose Treiben auf dem Festival mit den Umtrieben eines verkleideten Serienkillers verquickt. Diese harten Kontraste erzeugen eine sehr eigene Stimmung, die dadurch bestens funktioniert, weil sich das Spiel nicht allzu ernst nimmt und Figuren wie Handlung comichaft überzeichnet sind. Im weiteren Verlauf machen wir etwas noch Bekanntschaft mit einem sehr schreckhaften Freizeit-Detektiv oder einem Krabbenkönig mit Wrestling-Erfahrung. Dies wird aber nie zu sehr auf die Spitze getrieben, sodass die Figuren keine reinen Abziehbilder bleiben und die Geschichte manches Klischee auch geschickt umgeht. Daniel hat als Hauptfigur einige zutiefst anrührende Szenen und wirkt überaus liebenswert. Über die Rätsel entsteht bei seiner Charakterisierung aber eine gewisse Unschärfe. Denn dort ist er doch mal etwas kaltschnäuziger und benutzt beispielsweise einen älteren Mann ohne viel Federlesens als Sprungrampe, was ich trotz der kurz davor etablierten Antipathie zwischen den Beiden doch als zu harsch empfunden hatte.
Kreatives Denken erwünscht
Wie man an diesem Beispiel schon erkennen kann, darf bei den Rätseln durchaus mal quer gedacht werden. Oft sind es nämlich nicht die festgeschriebenen Gesetze der Physik und Logik, die uns zu einer Lösung finden lassen, sondern das Hineindenken in die Spielwelt und der ein oder andere Hinweis in einem Dialog. Ganz glücklich bin ich mit dem Design an dieser Stelle leider nicht, denn Wildwood Down übertreibt es für meinen Geschmack etwas zu sehr mit Aufgabenstellungen, die nur durch reines Ausprobieren gelöst werden können. Im besten Fall beende ich eine heftige Knobelaufgabe mit einem Gefühl der Genugtuung. Hier war es doch manchmal so, dass die erwartete Aktion so wenig herleitbar gewesen ist, dass ich das eher mit einem Schulterzucken quittiert habe.
Wirklich schade ist, dass das Spiel bei nicht passenden Aktionen keine Kommentare ausgibt, sondern jeweils nur ein rotes X erscheint und ein kurzer Jingle gespielt wird. Es hätte sicherlich nicht die verschwenderischen Rückmeldungen aus Edna bricht aus gebraucht, dennoch ist ein kompletter Verzicht auf ein textliches Feedback gerade bei diesem sehr humorvollen Titel doch unverständlich. Wenn man mal in einer Sackgasse stecken sollte, leisten die einblendbare Hotspotanzeige sowie ein integriertes Hinweissystem gute Dienste. Letzteres ist keine Komplettlösung , sondern man erhält bei Bestätigung nur einen kleinen Wink. Das reicht aber oft genug aus, damit man auf die richtige Spur kommt und entschärft auch die skizzierte Problematik des zu beliebigen Rätseldesigns etwas.
Die Entwickler haben auch einige Minispiele und Ausflüge in andere Genres integriert. Spielerisch fallen diese keineswegs ab. Da diese Inhalte aber schon immer kontrovers betrachtet wurden, hat man sich für die aus meiner Sicht beispielgebende Lösung entschieden, bei Spielbeginn abzufragen, ob man diese Elemente aktivieren oder deaktivieren möchte.
Das Beste aus beiden Welten
Mit der Unity-Engine haben die Entwickler einen Stil umgesetzt, den ich persönlich seit Backbone sehr schätze. Grundgerüst ist eine 3D-Darstellung, die durch entsprechende Texturierung und flache Objekte eine zweidimensionale Pixeloptik imitiert. Ein großer Pluspunkt dabei ist einerseits die mögliche Nutzung von komplexen Kamerafahrten, aber auch die Hinzunahme von Schatten-, Spiegelungs- und Lichteffekten, welche eine 2D-Szenerie spürbar modernisieren und aufwerten können. Crashable Studios betrat hier technisches Neuland, hat die Umsetzung aber sensationell gut gemeistert! Wie schön wirkt beispielsweise ein Konzert, in welchem die 2D-Musiker in wechselndem Scheinwerferlicht angestrahlt werden. Oder die Wildwood-Promenade bei Nacht, wenn die vielen kleinen Läden bunt beleuchtet sind. Ab und an kommt es vor, dass Kameraperspektiven ungünstig gewählt wurden, sodass die Figuren entweder gänzlich platt aussehen (was sie ja eigentlich auch sind) oder zu nah herangezoomt wird, was zur Folge hat, dass sich die Objekte im Pixelbrei verlieren. Die markante Optik ist für mich dennoch ein großer Pluspunkt des Titels.
Die musikalische Untermalung des Spiels ist durchweg hörenswert. Von den Entwicklern selbst auf die Beine gestellt und mit echten Instrumenten eingespielt, bekommt man eine atmosphärische Palette von unheilschwangeren, rockigen bis beschwingten Tracks zu hören. So läuft das Abspannlied, während ich diesen Text gerade schreibe, in Dauerschleife.
Die bislang ausschließlich englische Vertonung ist um Daniel D’Agostino herum mit bestens passenden Sprecherinnen und Sprechern besetzt. Eine deutsche Übersetzung gibt es derzeit noch nicht, abhängig vom Verkaufserfolg würde eine solche aber unter Umständen noch nachgereicht werden.
Ein Teil der Verkaufserlöse soll nach Aussage der Entwickler einer gemeinnützigen Organisation zufließen, welche Menschen mit dem Down-Syndrom unterstützt.
Zusammenfassung
FAZIT
Es kann durchaus eine zweifelhafte Ehre sein, sich als Hauptfigur eines Videospiels wiederzufinden. Nämlich dann, wenn die Qualität des Titels arg zu wünschen übrig lässt. Mit der Umsetzung dieses Point & Click-Adventures bieten die Crashable Studios Daniel D’Agostino jedoch die bestmögliche Bühne. Ein paar Macken beim Rätseldesign zum Trotz punktet Wildwood Down mit einem aufregenden Setting, originellen Charakteren und einer starken grafischen und musikalischen Untermalung.

